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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer
Autoren: Rainer M Schroeder
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Weitere werdet Ihr dort erfahren. Habt nur Vertrauen! Und du, Sebastian, gib auf die Heilige Schrift gut Acht, hörst du? Gib das Buch nie aus der Hand und hüte es wie deinen eigenen Augapfel! Lass dich nicht davon täuschen, dass die Deckel übel verkratzt sind und das Buch auch sonst nicht sonderlich wertvoll aussieht. Eines Tages, so Gott will, wird dir diese Reisebibel kostbarer sein, als du jetzt ahnen kannst!«
    Sebastian fühlte sich wie benommen. Nichts, was seine Mutter sagte und von ihnen verlangte, machte auch nur im Entferntesten Sinn. »Was sollen wir in Wittenberg, der Hochburg der Ketzer, wo dieser Martin Luther mit seinen Schriften und Predigen gegen den Papst und den wahren Glauben zu Felde zieht?«, stieß er hervor, während Elmar Gramisch sich schon über die Truhe beugte und die abgewetzte, alte Ledertasche mit der Bibel und einem prall gefüllten Geldbeutel an sich nahm. »Und was habt Ihr mit diesem Druckherrn namens Leonius Seeböck zu schaffen?«
    »Vertrau mir, mein Junge!«, hauchte sie. »Und jetzt gib mir zum Abschied einen Kuss. Ihr müsst los!«
    Alles in Sebastian sträubte sich dagegen, seine sterbenskranke Mutter allein auf Erlenhof zurückzulassen und mit Elmar und Ansgar sein Heil in der Flucht zu suchen – ohne zu wissen, wovor er eigentlich flüchtete. »Mutter, ich kann Euch unmöglich …«
    »Sei still und tu endlich, was ich gesagt habe!«, fuhr sie ihm heftig ins Wort, während Tränen ihre Augen füllten. »Ich flehe dich an, gehorche jetzt und geh! Und sorge dich nicht um mich, mein Junge. Mir kann Tassilo nichts mehr anhaben, meine Erdentage sind gezählt. Sieh mich nicht so verzweifelt an, Sebastian. Schon bei unserer Geburt liegt der Schatten der Vergänglichkeit über unserem Leben. Aber die Auferstehung Jesu
gibt uns Hoffnung auf Unsterblichkeit. Das soll dich trösten und dir die nötige Kraft geben, die du nun brauchst! Und nun geh!« Sie stieß ihn mit einer Kraft von sich, die Sebastian nicht mehr in ihr vermutet hätte.
    Im selben Augenblick krachte etwas Schweres gegen die Tür und ließ sie erzittern. Die Schergen des Domherrn hatten damit begonnen, mit Hilfe irgendeines primitiven Rammbocks die Tür aufzubrechen! Die Flügel ächzten im Rahmen, hielten dem Ansturm jedoch stand – noch. Aber allzu lange würden sie dieser rohen Gewalt nicht widerstehen können.
    Elmar Gramisch fasste Sebastian an der Schulter und schob ihn vom Bett weg. »Um Himmels willen, genug geredet! Wir müssen los, so bitter es auch sein mag, so von ihr zu gehen, Sebastian!«, ermahnte er ihn. »Aber wenn wir uns jetzt nicht sputen, sind wir alle verloren!«
    Ansgar Brake wartete schon in der schmalen Hintertür auf sie. »Ja, jetzt geht es auch um unseren Kopf!«
    »Rettet meinen Jungen, Elmar!«, rief Gisa von Berbeck den beiden älteren Männern leise nach, als sie schon fast durch die Tür waren. »Wenn er dem Domherrn in die Hände fällt, ist auch sein Vater verloren!«
    Sebastian erstarrte und fuhr zu ihr herum. »Was sagt Ihr da? Aber Vater ist doch schon vor sechs Jahren gestorben! Wie kann er da heute in Gefahr sein?«, hielt er ihr vor, plötzlich von einer dunklen Ahnung erfüllt. »Es sei denn … Nein, das ist unmöglich! Ich war doch dabei, als ihn der Schlag auf dem Feld bei der Heuernte getroffen hat!«
    Ein schmerzlicher, gequälter Ausdruck erschien auf dem Gesicht der Frau, die Sebastian sechzehn sorglose Jahre für seine leibliche Mutter gehalten hatte. »Wir haben dich geliebt, als wärst du unser eigen Fleisch und Blut gewesen, mein Junge. Du warst das größte Geschenk, mit dem Gott unser Leben gesegnet
hat. Vergiss das nie, was immer du auch denken magst, wenn du die ganze Wahrheit erfährst. Aber nicht ich habe dich zur Welt gebracht, sondern eine Frau, die mir sehr nahe gestanden hat und die bei deiner Geburt gestorben ist. Alles Weitere wirst du von Elmar erfahren, wenn er dich in Sicherheit gebracht hat. Verzeih mir, dass ich nicht die Kraft gehabt habe, dir schon eher die Wahrheit zu sagen!«
    Sebastian war, als hätte ihn ein unsichtbarer Schlag getroffen, der ihn bis ins Mark erschütterte. Das Blut wich aus seinem Gesicht und ein Gefühl von Übelkeit breitete sich in ihm aus. Er sah sie nur fassungslos an, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen.
    Wieder ließ ein wuchtiger Rammstoß die Türflügel erzittern.
    »Um Gottes willen, die Zeit zerrinnt uns zwischen den Fingern!«, zischte Ansgar Brake beschwörend. »Wenn wir uns nicht endlich beeilen
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