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Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Titel: Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrike Schweikert
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unverletzt. Der größere Teil des Heeres dagegen blieb auf dem Feld zurück, und die Geier ließen sich zwischen mehr als zehntausend Gefallenen nieder, um ihr blutiges Mahl zu halten.
    Jimena zügelte ihre Stute. Sie blieb im Schutz der Bäume am Flussufer stehen, die Zähne fest zusammengebissen, den Blick gesenkt. Sie konnte, nein, sie wollte nicht sehen, was das letzte Licht des Tages ihr zeigte. Gequält schloss sie die Augen, doch der durchdringende Gestank nach Blut und der beginnenden Verwesung blieb.
    Ja, sie hatte gewusst, dass es zur Schlacht kommen würde, und sie hatte es sich schrecklich vorgestellt, doch was sich hier vor ihr auftat, war jenseits schlimmster Albträume.
    Das ist wahr, doch jetzt ist nicht die Zeit zu trauern. Du musst weiter. Schnell. Noch sind die letzten Männer nicht über die Brücke gezogen. Folge ihnen hinauf nach Toro, ehe die Tore geschlossen werden.
    Wie in Trance gehorchte Jimena der Stimme in ihrem Kopf. Sie konnte später nicht mehr sagen, wie sie in die Stadt gekommen war noch wie sie ohne aufgehalten zu werden in die Nähe des Königs hatte gelangen können.
    Was tat sie hier eigentlich mitten im Lager der Feinde? Sie stand an die Wand des Saals gedrückt, in dem sich die erschöpften Ritter des Portugiesen drängten, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, doch keiner nahm von ihr Notiz, ja, keiner schien sie überhaupt zu sehen. Plötzlich durchzuckte sie ein schrecklicher Verdacht.
    Was verlangst du von mir? Soll ich ihn mit meinem Messer meucheln?
    Nein, du wirst nur mit ihm reden.
    Was sollte sie mit dem König von Portugal reden?, fragte sich Jimena, doch da begannen sich ihre Lippen bereits zu bewegen, und obgleich kein Laut aus ihrem Mund kam, schien der König ihre Worte zu hören. Seine Hand fuhr an seinen Kopf, und sein Blick wurde seltsam glasig.
    Ihr seid müde, Majestät. So schrecklich müde. Ihr müsst Euch nach dieser Schlacht zurückziehen und Kräfte sammeln. Nehmt Eure Männer und zieht Euch an einen sicheren Ort zurück und dann schlaft, Majestät, schlaft!
    Jimena wandte sich ab und verließ die Stadt. Sie hatte die Brücke noch nicht ganz überwunden, als die ersten Männer bereits aus dem Tor quollen. Sie machten sich abmarschbereit. Sie würden sich zurückziehen, um ihre Wunden zu lecken. Und der König? Er würde, kaum dass sie Castromina erreichten, in tiefen Schlaf fallen, aus dem er zwei Tage nicht wieder erwachen sollte. Zwei Tage, nach denen die Entscheidung gefallen sein würde.
    Jimenas zweites Ziel war König Fernandos Lager. Alles in ihr drängte sie, das Schlachtfeld weiträumig zu umreiten, dennoch steuerte sie direkt darauf zu. Sie ritt bis zu den letzten Bäumen und hielt ihr Pferd dort an. Obgleich sie sich fürch tete, ließ sie sich aus dem Sattel gleiten. Sie stieg über die ersten Erschlagenen hinweg. Der Gestank war nun so betäubend, dass es in ihrem Kopf zu rauschen begann und sie nicht mehr klar sehen konnte. Dennoch ging sie zielstrebig weiter. Etwas Tieferes als ihr Bewusstsein führte sie, und obwohl sie ahnte, wonach sie suchte, wollte sie nicht, dass ihr Geist den Gedanken erfasste. Er war zu schmerzlich.
    Ihre Füße hielten an. Ihr Blick glitt über den Boden, ohne den unfassbaren Schrecken zu begreifen. Männer und Pferde mit Pfeilen in ihren Leibern, zerhackt und zerstückelt. Sie konnte unmöglich sagen, wer zu welchem Heer gehört hatte, doch war das nun auch nicht mehr wichtig. Der Tod hatte sie alle gleich gemacht.
    Da hörte sie das Stöhnen. Sie stieg über einen Mann hinweg, aus dessen Auge ein Pfeil ragte, und umrundete den Kadaver eines Streitrosses, bis sie über ihm stand und die schreckliche Wahrheit nicht mehr verdrängen konnte.
    Ein Schrei voller Pein erklang in ihrem Kopf, und sie ahnte, dass es Domingas Klagelaut war, der sich mit ihrem eigenen Schmerz vermischte. Jimena ließ sich auf die Knie sinken. Sie griff nach der blutigen Hand, die sich ihr entgegenstreckte.
    »Ramón!«
    Seine Lider öffneten sich, und sie spürte, dass er sie er kannte.
    »Jimena, ich habe so gebetet, dich noch einmal sehen zu dürfen und dich um Verzeihung bitten zu können, ehe ich meinem Schöpfer gegenübertrete. Vielleicht darf ich das als Zeichen deuten, dass der Herr mir meine Sünden vergeben wird.«
    »Was redest du für einen Unsinn?«, sagte sie rau und versuchte zu erfassen, wie schwer seine Wunden waren. Er hatte eine Schnittwunde im Gesicht, die ihn ein Ohr gekostet hatte, und eine am Arm, die aber ebenfalls
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