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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß
Autoren: Jules Verne
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entdecken. Da Franz nach der mit seinem Diener verabredeten Frist nicht erschienen war, mußte er aus dem Schlosse nicht wieder haben entkommen können.
    Rotzko wagte jedoch nicht zu hoffen, daß er noch lebe, daß er nicht ein Opfer dieser Katastrophe geworden sei; schwere Thränen rollten über seine Wangen herab, und Nic Deck vermochte ihn nicht zu beruhigen.
    Nach halbstündigem Suchen wurde der junge Graf jedoch im ersten Stockwerk des Thurmes unter einem Deckenbogen gefunden, der ihn davor geschützt hatte, erdrückt zu werden.
    »Mein Herr… mein armer Herr!
    – Herr Graf!…«
    Das waren die ersten Worte, die Rotzko und Nic Deck ausstießen, als sie sich über Franz neigten. Sie mußten ihn für todt halten, während er nur bewußtlos war.
    Nic Deck, der den jungen Grafen aufgehoben hatte, sprach noch auf ihn, erhielt aber keine Antwort.
    Nur die letzten Worte der Sängerin entschlüpften den bleichen Lippen des so wunderbar Geretteten, die Worte:
     
    Innamorata… Voglio morire

     
    Franz von Telek war dem Wahnsinn verfallen.
Achtzehntes Capitel.
    Da der junge Graf den Verstand verloren hatte, würde kaum Jemand über die letzten Vorgänge, deren Schauplatz das Karpathenschloß gewesen war, Aufschluß erhalten haben, ohne die Erhebungen, die unter folgenden Verhältnissen schon nach kurzer Zeit stattfanden:
    Nach Verabredung hatte Orfanik, und zwar vier Tage lang, in Bistritz gewartet, daß sich der Baron von Gortz daselbst einstellen sollte. Als dieser nicht kam, sagte er sich, daß sein Gönner bei der Explosion wohl umgekommen sein möchte. Von Neugier wie von Unruhe gleichmäßig getrieben, hatte er das Städtchen Bistritz verlassen und sich nach Werst begeben, von wo aus er die Umgebungen der Burg durchstreifte.
    Das sollte ihm aber schlecht bekommen, denn die Polizeibeamten bemächtigten sich sehr bald seiner Person auf einen Hinweis Rotzko’s hin, der jenen genau und schon seit langer Zeit kannte.
    In die Hauptstadt des Comitats übergeführt und hier gerichtlich vernommen, zögerte Orfanik gar nicht, alle Fragen zu beantworten, die ihm in der, wegen der bekannten Katastrophe eingeleiteten Untersuchung gestellt wurden.
    Wir möchten hier auch nicht bemänteln, daß das traurige Ende Rudolphs von Gortz den selbstsüchtigen, überspannten Gelehrten, dessen Herz einzig an seinen Erfindungen hing, kaum merklich berührte.
    Auf Rotzko’s dringende Erkundigung hin erklärte Orfanik zunächst, daß la Stilla todt, wirklich todt, und daß sie – so lauteten seine Worte – auf dem Campo Santo Nuovo zu Neapel vor fünf Jahren beerdigt, richtig und formgerecht beerdigt worden sei.
    Diese Versicherung erweckte eine nicht geringe Ueberraschung, woran das ganz seltsame Abenteuer überhaupt reich war.
    Wenn la Stilla todt war, fragten sich die Richter und andere Leute, wie ging es zu, daß Franz ihre Stimme in der Gaststube zu Werst hören, sie später auf einer Bastion der Burg erscheinen sehen, wie, daß er als Gefangener in der Höhle sich an ihrem Gesange berauschen konnte?… Wie war es endlich möglich, daß er sie in dem Wartthurmsaale lebend wiedersah?
    Hier die Erklärung dieser Vorkommnisse, die ja ganz unerklärlich zu sein schienen.
    Bekanntlich bemächtigte sich des Barons von Gortz die helle Verzweiflung gleich beim Auftauchen des Gerüchts, daß la Stilla entschlossen sei, die Bühne zu verlassen, um Gräfin von Telek zu werden. Das staunenswerthe Talent der Künstlerin, d. h. alle Seelenfreude, die ihm jenes bereitete, ging ihm damit verloren.
    Jener Zeit schlug ihm Orfanik vor, mittels phonographischer Apparate die Hauptnummern ihres Repertoires, die sich die Sängerin für ihre Abschiedsvorstellungen ausgewählt hatte, getreu aufzunehmen. Die betreffenden Apparate waren damals schon wunderbar vervollkommnet und Orfanik hatte sie noch so verbessert, daß die menschliche Stimme weder in ihrer Klangfarbe noch in ihrer Reinheit dadurch im geringsten verändert wurde.
    Der Baron von Gortz ging auf das Angebot des Physikers ein. Nach und nach und ganz insgeheim wurden für den letzten Monat der Saison Phonographen in der vergitterten Theaterloge aufgestellt. Auf deren Reproductionsplatten gruben sich nun alle Gesangsvorträge, Cavatinen, Romanzen aus Opern und aus Concertstücken, u. a. auch das Lied Stefanos und die durch la Stilla’s Tod unterbrochene Schlußarie aus »Orlando« für immer ein.
    Hiermit hatte sich Baron von Gortz in sein Karpathenschloß geflüchtet und jeden Abend konnte
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