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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß
Autoren: Jules Verne
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ihn, der ihm seine Stilla… die noch lebende, aber geistesgestörte… durch jenen zum Wahnsinn getriebene Stilla geraubt hatte… um ihn niederzustechen.
    Franz schlich sich hinter den Lehnstuhl; er hatte nur noch einen Schritt zu thun, um den Baron zu packen, und mit blutüberfüllten Augen, seiner Sinne kaum mächtig, erhob er schon die Hand…
    Da erschien la Stilla.
    Franz ließ das Dolchmesser auf den Teppich fallen.
    La Stilla stand auf der Estrade in vollem Lichte, mit aufgelöstem Haar und vorgestreckten Armen, so wunderbar schön in dem weißen Gewande der Angelica aus dem »Orlando«, ganz so, wie sie sich auf der Bastion der Burg gezeigt hatte. Ihre auf den jungen Grafen gerichteten Blicke bohrten sich diesem tief in die Seele ein…
    Unmöglich konnte Franz von ihr unbemerkt bleiben, und doch machte la Stilla keine Bewegung, um ihn anzurufen… sie öffnete nicht einmal die Lippen, ihm ein Wort zu sagen… Ach, sie war wahnsinnig!
    Franz wollte schon nach der Estrade stürmen, sie in die Arme nehmen, von hier wegreißen…
    Da begann la Stilla zu singen. Ohne den Lehnstuhl zu verlassen, hatte sich der Baron von Gortz nach ihr vorgebeugt. Auf dem Gipfel der Verzückung saugte der Kunstfreund diese Töne wie einen Wohlgeruch ein, trank er sie wie einen Göttertrank. Ganz so, wie er sich in den italienischen Theatern gezeigt, erschien er auch inmitten dieses Saales in vollständigster Vereinsamung, auf der Höhe des altersgrauen Wartthurmes, der weithin das Bergland des transsylvanischen Gebietes beherrschte.
    Ja, la Stilla sang!… Sie sang für ihn, nur allein für ihn!… Es erschien wie ein Hauch, der ihr über die Lippen wehte, ohne daß sie diese dabei öffnete… Und doch, hatte sie auch die Vernunft verloren, die Künstlerseele war in ihr unberührt geblieben!
     

    Eine furchtbare Explosion. (S. 196.)
     
    Auch Franz berauschte sich am Zauber dieser Stimme, die er seit fünf langen Jahren nicht wieder gehört hatte… Er versenkte sich in eine glühende Betrachtung dieser Frau, die er ja nie wiedersehen zu sollen glaubte und die jetzt vor ihm stand, lebend, als wäre sie durch ein Wunder vor seinen Augen wieder auferstanden!
    Was la Stilla sang, schien wie besonders ausgewählt, in Franzens Herz die Saiten der Erinnerung am lebhaftesten anzuschlagen. O, er erkannte ja sogleich das ergreifende Finale aus der tragischen Scene in »Orlando«, jenes Finale, in dem die Seele der Künstlerin gebrochen war bei dem letzten Verse
     
    Innamorata, mio cuore tremante,
    Voglio morire

     
    Franz folgte Ton für Ton den ihm unvergeßlichen Worten… Er sagte sich, daß diese jetzt nicht unterbrochen werden würden, wie das damals im San Carlo-Theater geschah!… Nein, diesmal sollte der Schlußvers auf den Lippen la Stilla’s nicht ersterben, wie er bei ihrer Abschiedsvorstellung erstorben war…
    Franz athmete kaum noch leise… Sein ganzes Leben hing an diesem Gesange… Noch wenige Tacte und die Töne mußten in unvergleichlicher Reinheit ausklingen…
    Da begann die Stimme schwächer zu werden. Es erschien, als zögerte la Stilla, als sie mit dem Ausdrucke stechenden Schmerzes die Worte wiederholte:
     
    Voglio morire

     
    Sollte la Stilla jetzt auch auf dieser Estrade niedersinken, wie sie damals auf der Bühne zusammengebrochen war?…
    Nein, sie fiel zwar nicht, doch der Gesang verstummte mit demselben Tacte, mit derselben Note, wie im San Carlo… Sie stößt einen Schrei aus… das ist der gleiche Aufschrei, den Franz an jenem Abend vernommen hatte…
    Und doch steht la Stilla immer noch da, regungslos, mit dem himmlischen Blicke… dem Blicke, der in dem jungen Grafen alle zärtlichen Regungen seiner Seele aufwallen macht…
    Franz stürmt auf sie zu… Er will sie aus diesem Saale, aus diesem Schlosse tragen…
    In diesem Augenblicke, wo er die ganze Welt vergessen hat, wo er keiner Gefahr mehr denkt, die ihn und die Geliebte vernichten könnte, sieht er sich dem Baron, der eben aufgesprungen ist, Aug’ in Auge gegenüber.
    »Franz von Telek!… ruft Rudolph von Gortz. Franz von Telek, dem es gelang auszubrechen…«
    Doch ohne ihn einer Antwort zu würdigen, stürzt Franz nach der Estrade.
    »Stilla… meine geliebte Stilla, rief er wiederholt… Dich sind’ ich hier wieder… und lebend… lebend wieder!
    – La Stilla… lebend… gewiß!« fügte der Baron von Gortz hinzu.
    Diesen in ironischem Tone gesprochenen Worten folgte ein Gelächter, aus dem man herausfühlte, wie die Wuth in
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