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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder
Autoren: Marie Rutkoski
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Verzweiflung der Bauern. Auch der Hof des Prinzen in Prag spürte, dass das Geld knapp wurde, als die Preise für Öl stiegen, das zum Kochen, als Brennstoff für Lampen in vornehmen Häusern und für die Produktion von Waffen gebraucht wurde, was ein besonders heißes Feuer verlangte, das mit
Rapsöl genährt wurde. Die Antwort des jungen Prinzen darauf war, die Steuern zu erhöhen.
    Die Empörung der Landbevölkerung mündete in eine Verschwörung gegen den Prinzen, doch dann verschwanden die führenden Köpfe der Rebellion auf geheimnisvolle Weise aus ihren Häusern. Die Verschwörung verlief im Sande. Etliche Männer verloren in diesem Jahr ihr Leben, andere, wie Josef, ihren Lebensunterhalt.
    Josef und Dita kamen mit kaum mehr als ihrem Sohn David in das Haus zum Kompass.
    Ihr Hof, ihr Haus und fast alles darin war verkauft worden. Petra wusste zwar, dass sie kamen, um bei ihnen zu wohnen, doch sie wusste auch, dass ihr Vater hoffte, Dita würde für sie zu einer zweiten Mutter werden. Petra nahm ihm das übel.Vor allem deshalb, weil sie nie erfahren hatte, wie es ist, eine Mutter zu haben. Ihre eigene war gestorben, als sie Petra das Leben schenkte. Und Petra hatte das Gefühl, dass nichts ersetzt werden musste, was sie niemals vermisst hatte.
    Sie liebte es, allein mit ihrem Vater zu leben. Er brachte ihr sehr viel mehr bei, als sie jemals von dem Perücke tragenden Dorfschulmeister gelernt hätte. Manchmal befolgte er auch ihren Rat, zum Beispiel als er anfing, an der Konstruktion von unsichtbaren Metallwerkzeugen zu arbeiten. Petra sah ihm immer gerne bei der Arbeit zu. Wenn er etwas zusammenbaute, benutzte er nicht seine Hände, sondern blickte die Gegenstände konzentriert an und ließ Zahnräder, Bohrer und Nägel in einer schimmernden Anordnung durch den Raum tanzen. Er erklärte Petra, dass
es langsam und mühselig wäre, mit den Händen zu arbeiten. Die Finger würden dann die Sicht auf genau das versperren, an dem er gerade arbeitete. Als er das sagte, meinte Petra, dass andere Menschen womöglich auch gerne die Löcher sehen würden, die sie bohrten. Wären dann nicht unsichtbare Werkzeuge sinnvoll? Petras Vorschlag war theoretisch gut, aber nicht in der Praxis. Man muss nur versuchen, mit einem unsichtbaren Hammer einen Nagel zu treffen, und man versteht, warum. Aber schließlich nahm ihr Vater den Vorschlag ernst und stellte ein paar unsichtbare Werkzeuge her, die er irgendwo in der Werkstatt aufhob. Petra konnte sie allerdings nie finden, was sie nicht besonders erstaunlich fand, denn sie waren ja wie schon gesagt unsichtbar.
    Das Beste an dem Unstand, mit ihrem Vater allein zu leben, war ihre Freiheit. Petra war frei darin anzuziehen, was sie wollte, zu schlafen, wann sie wollte, zu essen, was sie wollte, und zu sagen, was sie wollte.Vielleicht hatte ihr Vater manchmal darüber nachgedacht, dass er keine Ahnung davon hatte, ein kleines Mädchen großzuziehen, doch wenn dem so war, hatten ihn ein paar Tage schnell wieder davon abgelenkt, in denen er, in seine Werksatt eingeschlossen, mit einem Laib Brot über den Anfängen einer neuen Idee brütete. Er war glücklich und Petra war glücklich. Doch als Ditas Familie ihren Hof verlor und er seine Nichte eingeladen hatte, bei ihnen zu wohnen, begann er, seine Tochter nachdenklich anzublicken. Er hatte denselben Gesichtsausdruck wie damals, als das Zinnkaninchen verloren gegangen war. Da war ihm plötzlich klar geworden,
dass er verantwortlich für etwas war, um das er sich nicht die ganze Zeit kümmern konnte.
    Und so fing der Kampf zwischen Petra und ihrer Cousine an. Petra führt einen Krieg des Widerstands, Dita schlug mit Beharrlichkeit zurück.Trotzdem hatte Petra im Lauf der Jahre viele Dinge an ihrer Cousine schätzen gelernt. Eines davon war deren Ehrlichkeit. Dita setzte um, was sie ankündigte. Und sie sagte immer, was sie dachte. Dita nahm kein Blatt vor den Mund und redete auch nicht leichtfertig daher.
    Als daher Dita eine Stunde später an Petras Tür klopfte und, ohne auf eine Aufforderung zum Eintreten zu warten, die Kammer betrat, sagte Petra nichts, obwohl sie bei jeder anderen Gelegenheit ihr Recht auf Intimsphäre herausgeschrien hätte. Eine nervöse Angst zirpte in ihrem Magen.
    Dita setzte sich auf einen Stuhl neben Petras Bett und seufzte. »Der Prinz hat deinem Vater die Augen gestohlen. Er hat sie entfernen und aufbewahren lassen.«
    Als Petra das bandagierte Gesicht gesehen hatte, war ihr sofort klar gewesen, dass der
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