Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder
Autoren: Marie Rutkoski
Vom Netzwerk:
sich hin und überlegte, ob sie wieder weglaufen sollte, ob sie versuchen sollte, die Lowari zu finden. Sie fingerte an dem Hufeisen an ihrem Hals herum.Vielleicht war es noch nicht zu spät …
    Aber dann kroch ihr etwas Silbriges über den Fuß.
    »Geh weg, Astro«, sagte sie mit düsterer Stimme, ohne nach unten zu blicken.
    »Ich bin nicht Astrophil, ich bin Roschina.«
    Es war eine Zinnmaus mit langem Schwanz und winzigen Pfoten. Petra erblickte Josef, der kahle Zweige zur Seite stieß und immer näher kam. Sie bewegte sich nicht. Er kauerte sich neben sie. »Petra, du hast etwas sehr Mutiges getan.«
    Sie sah ihn nicht an und wischte sich die Tränen ab.
    »Wenn dein Vater wieder weniger Angst hat, wird er das verstehen.«
    »Angst?«
    »Als Lucie und Pavel aus Prag zurückgekommen sind und erzählt haben, dass du bei irgendeiner erfundenen Tante geblieben bist, haben wir uns Sorgen gemacht. Prag ist kein Ort für ein zwölfjähriges Mädchen alleine.«
    »Ich bin dreizehn«, sagte sie mürrisch.
    »Dreizehn.« Er nickte. »Alle haben sich dann auf Tomik gestürzt. Ich glaube kaum, dass sie ihn die ganze Zeit, die du weg warst, aus seinem Zimmer gelassen haben. Er hat immer behauptet, das Einzige, was er wüsste, wäre, dass du nach Prag gehen wolltest.«

    Petra hatte gewusst, dass sie sich auf Tomik verlassen konnte, ihren Plan nicht zu verraten.
    »Also bin ich in die Stadt gegangen, um nach dir zu suchen«, sagte Josef.
    »Hast du das wirklich getan?«
    »Natürlich. Glaubst du, wir hätten einfach nur abwarten können, bis du nach Hause kommen würdest, wenn du überhaupt nach Hause kommen würdest? Was hättest du an unserer Stelle getan?
    Ich hab die Bettelkinder nach dir gefragt. Ich hab heimatlose, verkrüppelte und irrsinnige Kinder in deinem Alter gesehen. Und ich musste mit leeren Händen nach Hause zurückkehren und das Schlimmste annehmen.Verstehst du denn nicht, dass dein Vater nur so aufgebracht war, weil er sich immer noch vorstellt, was dir hätte passieren können? Auch wenn du jetzt hier bist, am Leben und in Sicherheit? Er gibt sich selbst zuallererst die Schuld dafür, dass du weggegangen bist.«
    Während Petra ihm zuhörte, stellte sie sich vor, was alles hätte schiefgehen können. Darüber früher nachzudenken, hatte sie sich nie erlaubt, weil sie dann vielleicht nicht den Mut gehabt hätte, ihren Plan durchzuziehen. Aber nun dachte sie darüber nach, wie es wohl gewesen wäre, wenn man sie geschnappt, ins Gefängnis geworfen und aufgehängt hätte.
    Sie stellte sich vor, wie es wohl gewesen wäre, wenn sie triumphierend, so wie noch vor einer Stunde, zurückgekommen wäre und ihren Vater auf dem Sterbebett vorgefunden hätte, sei es wegen einer Krankheit oder vor lauter
Sorge oder sonst etwas. Dann wäre alles, was sie getan hatte, umsonst gewesen.
    »Komm, wir gehen zurück«, sagte Josef und streckte ihr die Hand hin.
    Sie nahm sie.
     
     
    Als sie das »Haus zum Kompass« betraten, konnte sie Dita und ihren Vater streiten hören. Sie brachen ab, als sie die Tür knarren hörten. Ihr Vater drehte sich um. Er trug keinen Verband mehr und sein Gesicht war vollständig und geheilt. Die Silberaugen glänzten. »Petra.« Er ging auf sie zu und legte ihr die Hand an die Wange. Er sah ihr ins Gesicht. »Jetzt, wo...«, begann er. Dann versuchte er es noch einmal: »Das ist das Allerschönste, was ich je gesehen habe.«

Epilog
    PETRA MUSSTE zwei Wochen im Bett bleiben, um sich von dem Fieber zu erholen. Sie war allerdings nicht allzu unglücklich darüber, denn sie bekam Besuch.
    Tomik, den sein Vater wieder freigelassen hatte, freute sich ganz besonders, Petra wiederzusehen. Seine Zinnhündin wedelte voller Begeisterung mit schweren Schlägen ihres Schwanzes gegen Petras Bett. Atalanta war zu einem bulligen, struppigen und sehr gutmütigen Wesen herangewachsen. Die Schultern des Hundes waren kräftig, doch ihre Flanken waren schlank, was vermuten ließ, dass sie sich später einmal runden würden. Öl tropfte von ihren Fangzähnen, als sie ihren breiten Kopf unter Petras Arm bohrte. Sie sabberte Petras ganzes Kissen voll, bis es mit grasgrünen Schlieren bekleckert war.
    Tomik sagte stolz, er habe schon immer gewusst, dass Petra fähig war, das durchzuführen, was sie sich vorgenommen hatte. Er erzählte ihr von seinen neuen Erfindungen. Er hatte ein Gegenmittel für die Sorgenfläschchen entwickelt: ein Gel, das die Innenseite der Gefäße bedeckte,
genau wie Petra es vorgeschlagen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher