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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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Kennermiene auf, gab sich den aufmerksamen und konzentrierten Anstrich eines echten Degustators. Der Gast lachte zufrieden.
    »Ich werde Enkel haben«, erklärte Professor Mytez nach einer Weile, den Anblick der rubinroten Flüssigkeit am Glasboden genießend. »Einen ganzen Stall voller Enkel … Übrigens habe ich mir schon gedacht, dass du wieder durch die Provinzen ziehst. Zu Hause habe ich dich nämlich nicht erreicht.«
    »Die Pflichten«, entgegnete der Gast vage. »Die üblichen Pflichten zum Wohle aller … oder zumindest der meisten. Du bekommst eine hübsche Schwiegertochter, Jul. Wann findet die Hochzeit statt?«
    »Ich glaube, im Oktober«, antwortete der Professor mit einem zufriedenen Nicken.
    »Steht der Termin denn noch nicht fest?«, verwunderte sich der Gast.
    »Lach jetzt bloß nicht, aber es ist erst eine Woche her, dass …« Der Professor breitete die Arme aus. »Dass Nasar sie mir vorgestellt hat. Er hat Angst gehabt, ich würde böse sein …«
    »Aber das warst du nicht«, meinte Klawdi. »Und recht hast du.«
    Der Professor nahm seine Mandoline aus dem Gras auf. Während der Gast beobachtete, wie Julian sorgsam die Saiten spannte, fischte er eine weitere Zigarette aus der schmalen goldfarbenen Schachtel. »Juljok …«
    Etwas ließ den Professor zusammenzucken. Er riss sich von seiner Tätigkeit los und sah den Gast erstaunt an. »Ja?«
    »Juljok …« Derjenige, der Klawdi hieß, zog aus dem niederbrennenden Lagerfeuer einen Ast mit glühender Spitze. »Verdammt, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll.«
    »Von mir aus kannst du deinen Hexen in den Verliesen mit solchem Getue Angst einjagen«, knurrte der Professor, dem es auf einmal die Laune verschlagen hatte. »Ich kann darauf verzichten! Was ist los?«
    Der Gast steckte sich die Zigarette an. Nach einem tiefen Zug meinte er, ohne die zusammengekniffenen, leicht geröteten Augen von seinem Freund zu nehmen: »Du weißt natürlich, dass sie eine Hexe ist?«
    »Wer?«, fragte der Professor begriffsstutzig.
    »Deine Schwiegertochter«, antwortete der Gast nach einem weiteren tiefen Zug an der Zigarette. »Deine zukünftige Schwiegertochter … Wie heißt sie eigentlich?«
    »Ywha«, antwortete der Professor sofort. Plötzlich schoss er von dem Baumstamm, auf dem er saß, hoch. »Was?!«
    »Ywha«, wiederholte Klawdi nachdenklich.
    »Ist dir klar, was du da sagst?«, fragte der Professor mit ersterbender Stimme.
    Sein Gegenüber nickte. »Juljok … Seit fünfundzwanzig Jahren schinde ich mich jetzt mit dieser Arbeit ab. Mir reicht ein vergilbtes Schwarzweißfoto, um sie zu erkennen. Und am schrecklichsten ist, dass auch sie mich wittern. Ich verursache ihnen Übelkeit. Eurer Ywha ist nicht schlecht geworden, weil sie schwanger ist, sondern weil jemand so Widerliches wie ich in ihre Nähe kam.«
    Der Professor setzte sich wieder. Er griff nach der Mandoline, die er hatte fallen lassen.
    »Tut mir leid, dass du das nicht wusstest«, meinte Klawdi. »Ich habe angenommen … Aber das ist verzeihlich, Jul. Sie … vor allem die jungen, vor allem die aus der tiefsten Provinz … sie haben Angst. Ob sie es Nasar gesagt hat?«
    »Hör bloß auf«, brummte der Professor, der nach und nach Saite um Saite stimmte. »Mist!« Ein Wirbel der Mandoline war abgebrochen. Ganz kurz lag er auf Julians Hand, dann flog er ins Feuer. Die aufgerührte Glut loderte hoch, beruhigte sich jedoch sogleich wieder.
    Sein Gegenüber ließ eine gewisse Zeit verstreichen. »Im Grunde ist doch nichts Schlimmes dabei«, erklärte er schließlich seufzend. »Ich habe schon so viele glückliche Familien gesehen, in denen die Frau eine Hexe war. Weißt du, wie viele legale Hexen allein in der Hauptstadt leben? Diejenigen, die wir lediglich zu registrieren und zur Kontrolle vorzuladen brauchen?«
    Die gerissene Saite der Mandoline hatte sich wie eine Weinrebe zu einer Spirale aufgerollt.
    »Juljok …«
    »Schweig.«
    Nasar trat aus dem Haus. »Sie hat gesagt, sie wolle schlafen«, bemerkte er leicht verwirrt, ja, sogar ein wenig verbittert. »Offenbar geht es ihr aber besser … Papa?!«
    »Sei so gut …« Sein Vater wandte sich zu ihm um. »Sei so gut und mach uns einen Kaffee.«
    Der junge Mann rührte sich jedoch nicht vom Fleck. Immer wenn er nervös war, machte sich ein Tick an ihm bemerkbar: Seine Augen klapperten schnell auf und zu, wie bei einer Puppe, die man sanft schüttelte. »Papa …«
    »Nasar …«
    »Es ist alles in Ordnung, Nasaruschka«, mischte sich
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