Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
Vom Netzwerk:
der Gast überraschend ein. »Geh nur …«
    Beide Männer schwiegen angespannt, bis der Junge durch die Küchentür verschwunden war. Doch auch danach währte ihr Schweigen noch einige quälend lange Minuten.
    »Juljok«, ergriff der Besucher zögernd das Wort. »Du bist ein vernünftiger Mann … schon immer gewesen. Aber, verflucht noch mal, ich frage mich allmählich, ob ich diese Nebensächlichkeit nicht besser hätte für mich behalten sollen. Und dir später, in einer ruhigen Minute …«
    »Das ist ja wohl nicht dein Ernst, oder?« Der Professor schleuderte die Mandoline weg, die erbärmlich losschrillte, als sie auf den kleinen Steinen im Gras landete. Missbilligend zuckte der Gast die Achseln, sagte jedoch kein Wort. »Du …« Der Professor holte Luft. »Eine Hexe … in meinem Haus … mit meinem Sohn … hinter meinem Rücken … wie gemein. Was für eine Gemeinheit, Klaw!« Er erhob sich und stopfte die Hände tief in die Taschen. »Ich bitte dich, Klawdi«, sagte er mit einem fordernden Unterton in der Stimme, »sprich gleich mit Nasar. Ich will nicht … keine Minute länger …«
    »Jul?« Klaw zog verwundert eine Augenbraue hoch. »Und was soll ich deiner Ansicht nach Nasar sagen? Wenn er sie doch liebt?«
    »Liebt?!«
    Der Professor umrundete verdrossen das Lagerfeuer, ohne die nötigen Worte zu finden. Schließlich setzte er sich. Seinem Gesichtsausdruck konnte Klaw entnehmen, dass Julian Mytez seine Selbstbeherrschung zurückerlangt hatte. »Soweit ich es verstehe«, setzte der Professor mit ausdrucksloser Stimme an, »ist es deine Pflicht, sie mitzunehmen, oder? Zur Kontrolle und Registrierung?«
    »Diese Pflicht«, antwortete der Gast, der nun nachdenklich seine dritte Zigarette rauchte, »haben andere zu erfüllen. Aber anzuordnen, dass man sie festnimmt, das ist in der Tat …«
    »Ich bitte dich nur um eines: nicht in meinem Haus«, presste der Professor mit nach wie vor blasser, tonloser Stimme hervor. »Ich würde nicht wollen …«
    »Es besteht doch gar keine Notwendigkeit, sie zu verhaften!« Sein Gegenüber klaubte ein schwarzes Rußpartikelchen von seiner eleganten grauen Hose. »Sie kann sich selbst an die entsprechende Stelle wenden, und ich versichere dir, nicht ein Nachbar …«
    »Die Nachbarn können mir gestohlen bleiben!« Wut verzerrte das Gesicht des Professors. Jeder, der noch vor einer Minute das ausgelassene Zusammensein und den Gesang miterlebt hätte, wäre über die Veränderung erstaunt gewesen, die inzwischen mit Mytez vor sich gegangen war. »Die Nachbarn können mir gestohlen bleiben. Aber mein Sohn liegt mir am Herzen. Ob die Hexe nun initiiert ist oder nicht … Verdammt noch mal, du betrachtest das alles mit den Augen des Fachmanns, aber ich …« Der Professor verstummte. Er holte tief Luft, erhob sich und wollte gerade ins Haus gehen.
    »Ich anstelle deines Sohnes würde in diesem Fall nicht auf dich hören«, rief ihm derjenige, der Klawdi hieß, hinterher.
     
    Nasar tauchte eine halbe Stunde später auf. Von einem Menschen, der einen Schock erlitten hat, heißt es oft, er sei über Nacht gealtert. Auf Nasar traf das Gegenteil zu. Der junge Mann, der seine zukünftige Frau vorhin erst ins Haus getragen hatte, wirkte jetzt wie ein verschreckter und tödlich beleidigter kleiner Junge.
    »Klawdi?«
    In der Zeit, die der Freund der Familie allein zugebracht hatte, hatte er ein Päckchen seiner exklusiven Zigaretten aufgeraucht. Jetzt beobachtete er, wie die aparte Pappschachtel im Lagerfeuer verbrannte.
    »Sie hätte es dir noch von sich aus erzählt, Nasaruschka. Früher oder später. Aber ich musste deinen Vater in Kenntnis setzen. Alles andere wäre … meinerseits nicht sehr schön gewesen. Nicht anständig. Meinst du nicht auch?«
    »Vielleicht hat sie am Ende selbst keine Ahnung davon?« Nasar schluckte geräuschvoll. »Wäre das nicht möglich?«
    Eine Weile lang spielte Klawdi mit dem Gedanken, den Jungen anzulügen. »Leider nein«, meinte er aber schließlich kopfschüttelnd. »Sie wissen immer alles über sich selbst.«
    »Dann hat sie mich angelogen«, sagte Nasar tonlos.
    Bedrückt zuckte Klawdi die Achseln.
     
    Ywha schlief nicht. Sie lag da, die Decke über den Kopf gezogen, die Nase in die angezogenen Knie vergraben, und stellte sich vor, sie sei eine Schnecke und befände sich in ihrem Häuschen, wo es warm und heimelig war, und alles, was außerhalb dieses Gehäuses passierte, brauchte sie nicht zu interessieren und stellte keinerlei Gefahr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher