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Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman

Titel: Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
Autoren: Beltz & Gelberg
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Plastikdose voll Kuchen mit und eine mit Schnittchen. Die Kaffeemaschine stand schon da und der Wasserkessel auf dem Herd.
    Es war also alles da, um gemütlich Kaffee zu trinken. Wobei meine Mutter, Mella und ich Tee bevorzugen.
    Die Kleingärten vor unserem Fenster leuchteten in Sommerfarben. Es war warm und die laue Luft strich um meine Beine. Kurz danach kam Maria zur Welt. Es war Sommer. Und bald waren Ferien.
    Zum Glück, denn die erlösten mich von der größten Qual der Welt: der Schule. Nicht, dass ich die Schule hasse oder in eine besonders blöde Schule gehen muss. Das kann ich so nicht sagen. Aber ich hänge in manchen Fächern so hinterher, dass ich die Versuche, irgendwas aufzuholen, heimlich längst aufgegeben habe. Ich begreife einfach nicht, was die mir in Mathe beibringen wollen. Nichts als Fragezeichen. Das Ganze nervt mich total. Die einen sagen, dass ich das alles können müsste, weil ich gar nicht so blöd bin, die anderen gucken mich immer nur mitleidig an, dass ich denke, bei mir kommt sowieso jede Hilfe zu spät. Aber nun waren Ferien und damit konnte ich die Tasche in die Ecke pfeffern und an was anderes denken. Maria war nagelneu und vor mir lagen sechs lange Wochen Freiheit. Alles andere konnte warten.
    Aber das ist lange her. Ewig fast. So kommt es mir vor. Dabei wohnen wir gerade mal ein halbes Jahr in dieser neuen Wohnung.

2
    Ich habe Maria durch den Matsch zurück zur Straßenbahn geschleppt und dann sind wir nach Hause gefahren. Draußen wurde es schon dunkel und die Weihnachtsbeleuchtung glitzerte durch die tropfenverhangenen Scheiben. Es roch feucht und nass von vielen nassen Schuhen und tauendem Schnee. Maria lag warm und friedlich an meinem Bauch. Wie ein Kängurubaby. Das tat ihr gut. Und mir gefiel es auch. Sie träumte. Ihre Beine zuckten und mit den Ärmchen fuhr sie durch die Luft. Sie hatte keine Ahnung, was sie alles verändert hat. Nicht nur die neue Wohnung ist ihr Verdienst, nicht nur, dass Carstens Zahnbürste nun einen festen Platz im Bad hat und seine Jacke ganz selbstverständlich an der Garderobe hängt, sondern auch, dass es jetzt ein Thema in unserer Familie gibt, das bisher überhaupt keine Rolle gespielt hat.
    Ich konnte es nicht fassen! Als Carsten irgendwann davon anfing, da haben wir ihn alle mit offenen Mündern angestaunt. Mutter genauso wie Mella und ich. Das war ja wenigstens was. Ich meine, dass meine Mutter auch mal sprachlos war.
    Also, ganz langsam: Kurz vor Weihnachten, vielleicht zwei Wochen vorher, sagte Carsten plötzlich, dass er zu Weihnachten in den Gottesdienst gehen wolle.
    »Kannst du machen«, war die ruhige Reaktion meiner Mutter. Keine ahnte, was gleich noch kommen würde.
    »Und dann … wollte ich euch sagen … dass ich Maria taufen lassen möchte.« Jetzt saßen wir alle drei da und glotzten.
    »Was willst du machen?«, fragte ich mit einem komischen Gefühl im Bauch, so als wollte er mir was wegnehmen. Ganz seltsam. »Von uns ist niemand getauft.«
    »Aber ich bin getauft«, antwortete Carsten.
    Dazu fiel mir nichts mehr ein. In unserer Wohnung wohnte jemand, der getauft ist? Das ist hier in Leipzig ungefähr so häufig, wie mit einem Außerirdischen zusammenzuleben. Okay, vielleicht sind die Getauften nicht ganz so selten wie die Außerirdischen, und ganz offensichtlich sind sie ziemlich irdisch, was ich ja an Carsten feststellen konnte. Aber trotzdem haute mich das alles fast um. Der ganze Rest der Familie war ebenfalls verstummt. Der Kühlschrank brummte.
    »Habt ihr darüber eigentlich schon mal gesprochen?«, fragte Mella meine Mutter, nachdem sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. In dieser Frage klang spitz wie eine Nadel der Vorwurf mit: Siehst du jetzt, dass das hier nichts werden konnte!
    Jetzt ging Mella zu weit, dachte ich, aber es war doch schon ziemlich offensichtlich, dass es in dieser Sache ein Problem zwischen unserer Mutter und Carsten gab. Sonst hätte sie nicht so sprachlos dagesessen und ihre schönen braunen Augen aufgerissen.
    Aber langsam fing sie sich. Sie ließ sich allerdings nicht von Mella anstacheln, sondern wandte sich Carsten zu: »Dass du getauft bist, wusste ich, aber mit Maria …«
    Mir kam es vor, als wäre sie sehr aufgeregt. Aber nicht ganz eindeutig, sondern so, als kämpften in ihr Erschrecken und Wut miteinander. Nach einer Atempause, in der sie ziemlich tief Luft holte, kam sie dann zur Sache: »Das kommt nicht in die Tüte. Egal, was es zwischen Himmel und Erde gibt, ich glaub so was nicht.
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