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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe
Autoren: Willi Faehrmann
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schnell. Konrad blieb an der Tür vor Großvaters Häuschen stehen und ließ den Pfarrer eintreten. Die silbrige Schelle hielt er fest umklammert und stand noch so, als der Pfarrer nach zwanzig Minuten herauskam. Er hatte das Rochett abgestreift.
    »Du hast einen Großvater, wunderbar wie …« Der Pfarrer stockte eine Weile, weil ihm niemand so recht vergleichbar schien, und sagte dann fest: »Wunderbar wie Jakob.«
    Konrad fühlte sich getröstet, obwohl ihm von Vater Jakob nur einfiel, dass er zwölf Söhne gehabt hatte, während der Großvater fünf Söhne und sechs Töchter großgezogen hatte.
    »Es sind immerhin auch fast zwölf«, sagte er zu sich selbst.
    »Wie?«, fragte der Pfarrer.
    Konrad reichte ihm verwirrt die Klingel. »Darf ich hinein?«, bat er die Mutter, die sich aus der Tür drängte.
    »Natürlich. Er hat schon nach dir gefragt.«
    Schnell schlüpfte Konrad in den Raum, der als Küche, Wohnstube und Schlafzimmer zugleich diente, und spähte zu dem mächtigen Bett hinüber. Mutter hatte über die blau-weiß karierten Bezüge ein weißes Tuch gebreitet. Auf dem kleinen Nussbaumtisch flackerten noch die beiden Kerzen. Auch Stehkreuz, Schälchen und Watte standen dort.
    Großvaters gebogene, große Römernase stach scharf aus dem Kissen. Er hielt die Augen geschlossen. Auf Zehenspitzen trat Konrad an das Bett. Als ob er auf ihn gewartet hätte, suchte Großvaters Hand die des Enkels. Er schlug die Augen auf. Der Schimmer eines Lächelns vertrieb den blassen Schein des Todes von seinem Gesicht. »Wirst du sterben, Großvater? Du musst mir doch noch von deiner Amerikafahrt erzählen und von den Eulen im Wald, von deinem großen Hecht und von dem Marsch nach Moskau, und …« Konrad schwieg. Das Lächeln war gewachsen.
    »Ich werde jetzt viel Zeit haben. Jeden Tag kann ich dir erzählen. Bis die Flucht beginnt.« Großvaters Stimme war so klar und fest wie je zuvor.
    »So viel Zeit, Großvater?«
    »Ja, Junge. So viel Zeit mir Gott noch schenkt. Denn die letzten Tage meines Lebens soll ich wohl in diesem Bett zubringen. Ein Schlaganfall, weißt du.«
    »Die Beine?«, fragte Konrad.
    Der Großvater nickte. »Die letzten Tage«, sagte er leise.
    »Meinst du nicht, dass es auch noch Wochen sein können?«, forschte Konrad. »Oder gar Monate?«
    »Frag den lieben Gott, Junge. Doch nun lass mich allein. Lösch die Kerzen.«
    Konrad drückte die Flammen aus und ließ den großen alten Mann allein in seinem breiten Bett. Viel zu breit. Seit vor drei Jahren die Großmutter Lisa gestorben war, viel zu breit.

5
    Seit Tagen hatte sich der Wind gedreht. Er wehte von der Ostsee her und schob dunkle Wolken vor den Himmel. Mit ihm kamen Regen und laue Luft. Und die Grippe. Bienmanns hatten gerade die Rüben im Keller, als der Vater sich hinlegte und das Fieber ihn überfiel. Der Arzt aus Ortelsburg schüttelte den Kopf und horchte lange Vaters Brust und Rücken ab.
    »Der Husten will mir nicht gefallen, Bienmann.«
    Vater schwieg. Schließlich packte der Arzt seine Instrumente in die abgeschabte Tasche und zog den Rezeptblock heraus. Er kaute eine Weile auf dem Ende des Stiftes. Vater hatte sich wieder zugedeckt. Mit der Bettwärme kam ein neuer Hustenanfall und schüttelte ihn und trieb ihm das Wasser in die Augen.
    Dr. Lukowski reichte der Mutter weiße Papierchen. Sie waren gefaltet, und ein paar Körnchen eines weißen Pulvers lagen in jedem. »Wird es gar zu arg mit dem Husten, dann geben Sie ihm ein Pulver mit einem Esslöffel Tee von Brombeerblättern. Das wird helfen.«
    »Wenn sie ihn nur nicht in die Uniform stecken wollen«, ängstigte sich die Mutter.
    »Ach was, Frau Bienmann. Nur keine Sorge davor.«
    Wohl um die Mutter zu beruhigen, schrieb Dr. Lukowski mit großen, steifen Buchstaben auf einen Bogen, der oben seinen Namen gedruckt trug, viele Wörter. Die letzten Sätze konnte Mutter entziffern. »Bienmanns Krankheit hat sich rapide verschlimmert. Er ist völlig untauglich für den Wehrdienst.«
    Jagte der eine Satz ihr Angst ein, so tröstete der letzte sie umso mehr.
    »Einer muss noch heute nach Ortelsburg zur Apotheke.«
    »Konrad«, sagte die Mutter und reichte dem Jungen das Rezept.
    Der Junge setzte sich seine Pudelmütze auf und griff nach der Zeltplane. Drei Stunden Weg hin und drei zurück. Wenn er vor dem Abend zu Hause sein wollte, dann musste er die Beine in die Hand nehmen.
    Also los. Auf einen Sprung trat er noch beim Großvater ein.
    »Bring mir Baldrian mit«, bat er und holte seinen
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