Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe
Autoren: Willi Faehrmann
Vom Netzwerk:
oder Russland, Lukas«, sagte er laut, »wir werden schon noch siegen.«
    »Na ja«, zweifelte der Vater.
    »Sei still, Johannes«, mahnte Mutter und lehnte sich in das Fenster.
    Sie wusste nur zu gut, wohin ihr Vetter Viktor geschleppt worden war, als er Hitler einen Dummkopf nannte und den Krieg ein Verbrechen.
    »Warum still sein?« Karls Stimme klang hart und zerborsten. »Wer glaubt denn noch an den Endsieg? Keiner jedenfalls, der an der Ostfront gerannt ist.«
    »Schweig still!« Olbrischt stemmte die Fäuste in die Hüften. »Du willst mein Sohn sein? Du verrätst ja deine Brüder an der Front.«
    Er drehte sich heftig um und verschwand in der Dunkelheit. Konrad konnte sich gut vorstellen, wie Brennscheres Augen böse funkelten und seine Backen sich röteten bis in die braune Uniform hinein.
    »Du musst ihn nicht so kränken«, mahnte der Großvater. »Er ist nun mal wie verrückt. Wer ist das heutzutage nicht? Die meisten schwören doch auf den Sieg.«
    »Wann sind dir die Augen aufgegangen, Karl?«, fragte Vater.
    »Es ist eine schreckliche Geschichte.«
    »Erzähl sie.«
    »Sie hat eigentlich mit Sieg und Niederlage nichts zu tun. Und doch hat sie mich zum Nachdenken gebracht.« Karl sog heftig an seiner Pfeife. »Wir hatten ein paar Tage Ruhe und waren bei Minsk in ein Dorf zurückgenommen worden. Das lag wohl fünfzig Kilometer hinter der Front. Tags zuvor hatten Partisanen drei deutsche Soldaten in der Nähe im Wald hinterrücks erschossen. Da kam der Befehl, wir sollten Geiseln ausheben. Ich fand einen Mann in einem Heuschober. Er zitterte und schrie immerfort, er sei Ukrainer. Denn Ukrainer werden geschont. Schon wollte ich ihn laufen lassen, da trat der Feldwebel hinzu und verlangte seinen Ausweis. Dokumenta, dokumenta, rief der Mann und durchwühlte aufgeregt seine Taschen. Doch er fand nichts.
    Wütend trieb ihn der Feldwebel in die Reihe der Geiseln. Vierundzwanzig Personen, darunter Frauen, Kinder. Sie wurden auf einen flachen Hügel geführt.
    ›Was geschieht mit ihnen?‹, fragte ich Kremers, den alten Gefreiten aus meinem Zug. Er schaute mich nachsichtig an und krümmte nur den Zeigefinger.
    ›Erschossen?‹, rief ich.
    ›Hast du die drei Soldaten gestern gesehen? Schüsse im Rücken. Krieg ist kein Kinderspiel, mein Lieber.‹
    ›Aber die Frauen, die Kinder?‹
    Er zuckte mit den Achseln. ›Wenn wir zu zart sind, Knabe, dann knallen sie dich morgen ab, oder mich. Schüsse in den Rücken. Deshalb, weißt du.‹
    Der Zug hatte den Hügel erreicht. In einer Reihe standen die Russen. Der dritte Zug nahm die Karabiner von den Schultern. Die Stimme des Feldwebels schnarrte die Befehle. Da plötzlich schrie der Mann laut, den ich im Schober aufgestöbert hatte, und er riss seinen Ausweis aus der Tasche.
    ›Dokumenta, dokumenta, Ukrainer!‹
    ›Gerettet.‹ Ich atmete auf.
    Aber der Feldwebel brüllte nur: ›Quatsch, du hättest den Wisch eher finden müssen‹, und kommandierte: ›Feuer!‹
    Der Ukrainer reckte seinen Arm mit dem weißen Blatt hoch und brach zusammen; tot. ›Das ist ein Schwein, der Feldwebel‹, sagte der alte Kremers.«
    Karl schwieg. Konrad schmiegte sich eng an den Vater. Die Pfeifenköpfe glühten hastig und hell auf.
    »Sind das Männer? Unsere Männer? Was müssen wir ertragen, bis dieses Blut nicht mehr zum Himmel schreit!«, sagte der Großvater, erhob sich und stapfte zu seinem Häuschen hinüber.
    »Gute Nacht«, sagte Karl bedrückt und gab dem Vater die Hand. Das Grollen der Geschütze wurde vom Wind herübergetragen.
    »Vergiss nicht dein Abendgebet, Konrad«, mahnte Vater.
    Er selbst betete lange und schloss: »Und gib, Herr, dass unsere Flucht nicht in den Winter falle.«
    »Amen«, sagte die Mutter und fügte leise hinzu: »Ziehe deine Hand nicht weg von den Frauen, die in dieser Zeit ein Kind erwarten.«
    »Amen«, klangen ihre Stimmen. Der Vater streichelte der Mutter die Hand.

4
    Karl stand längst wieder an der Front. Olbrischt war stiller geworden, seit Szakawski, der Postbote, ihm zwei Briefe gebracht hatte. Einen hatte Friedrichs Hauptmann geschrieben, der Olbrischt kurz mitteilte, dass sein Sohn tapfer im Kampf das Leben für Führer, Volk und Vaterland gelassen habe. Der andere war von einem Freund seines Sohnes. »Wir rannten nebeneinander aus dem Dorf hinaus«, schrieb er. »Es war furchtbar. Schwere Panzer waren vor dem Dorf aufgefahren und schossen. Wir hatten nicht einmal mehr genügend Munition für unsere Karabiner. Und die Angst! Ich hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher