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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe
Autoren: Willi Faehrmann
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Geldbeutel unter dem Kopfkissen hervor. Vier Groschen drückte er dem Jungen in die Hand.
    »Drei für den Tee und einen für dich.«
    »Danke, Großvater. Und eine Geschichte?«
    »Wenn du wieder da bist, du Quälgeist.«
    Die erste Wegstrecke war ihm vertraut. Jeden Tag lief er sie zur Schule. Auch bis Eschenwalde kannte er sich aus. Dort wohnte die Tante. Seit sein Vetter Hubertus aus Berlin auf ihrem Hof half, lief er gern hinüber. Später richtete er sich nach den gelb-schwarzen Wegweisern. Ein Eichhörnchen kletterte behende den Birkenstamm eines Wegbaumes empor. Es sprang und wippte auf den dünnen Ästen zum nächsten Baum und weiter, und noch einmal, bis er es in der schnurgeraden Reihe der Bäume aus den Augen verlor. Konrad hatte die Pantinen ausgezogen. Der Boden war vom Regen aufgeweicht.
    Auf einem Acker arbeiteten Gefangene. Franzosen? Russen? Norweger? Aus welchem Land Europas kamen sie? Sie sollten die letzten Rüben bergen, bevor der Wind umschlug und Schnee und Kälte brachte. Felder, so weit er sehen konnte.
    Endlich erreichte er die ersten Häuser der Stadt. Niedrig, nur wenig größer als die in Leschinen, duckten sie sich unter ihren Dächern. Eine Lastwagenkolonne stand am Rande der Straße. Hier und da schauten müde Kinderaugen durch die Spalte des Verdecks.
    Kaum älter als ich, dachte Konrad. Vielleicht darf ich auch noch zum Schanzen!
    »He, Bienmann!« Eine Jungenstimme rief seinen Namen und schnappte über. Die Plane wurde auseinander geschlagen. Er erkannte Szakawski, Josef Szakawski.
    »Mensch, wo kommst du denn her, Josef? Ich denke, ihr seid in Polen?«
    Hinter Szakawski drängten sich noch drei, vier, alle aus seiner Klasse. Karl Rübsam, Peter Krause und Georg Warczak. »Wir werden verlegt. Nach Allenstein, heißt es.«
    »Allenstein? Sind sie denn schon in Deutschland?«
    »Noch nicht«, antwortete Warczak. Seine Augen blickten ernst.
    »Du«, fragte Peter Krause, »kannst du meiner Mutter nicht etwas bestellen?«
    »Aber sicher«, versprach Konrad.
    »Und für mich?«, bat Warczak.
    »Klar. Für alle, wenn ihr wollt. Schreibt doch einen Zettel, los, schreibt.«
    Sie riefen in den Wagen nach Papier und Bleistiften. Die ersten Autos der Kolonne fuhren an. Sie reichten ihm die Zettel heraus. Kinderschrift bedeckte sie, steife, eckige Schnörkel. Im Schritt fuhren die Wagen. Konrad lief nebenher.
    »In der Klasse ist nichts mehr los ohne euch«, überschrie er den Motor. »Grunwald ist der Größte und reicht nicht einmal bis an den Fenstergriff ohne Stuhl.«
    Warczak beugte sich weit heraus und winkte Konrad heran.
    »Gib die meinem Bruder, Bruno, bitte, ich werde sie wohl nicht mehr lange brauchen.« Er drückte Konrad seine Armbanduhr in die Hand. Wie stolz war er immer auf seine Uhr gewesen! Warczak war der einzige aus der Klasse, der zur Kommunion eine Armbanduhr bekommen hatte. Konrad fror bei Warczaks Lächeln.
    »Warczak spinnt wieder«, rief Szakawski.
    Sie lachten laut. Zu laut, schien es Konrad.
    Der Wagen fuhr schneller. Konrad versuchte, Schritt zu halten. Aber der Abstand wurde größer. Der nächste Laster hupte heiser. Konrad drängte sich an die Häuserfront. Fünf Jungenhände winkten sich zu. Vorbei. Konrad barg die Zettel in seiner Brusttasche. Unversehens stand er vor der Apotheke. Wohlige Wärme durchdrang ihn, als er auf der langen Bank saß. »Eine halbe Stunde«, hatte die Frau im weißen Kittel gesagt und ihm drei Stücke Lakritze über die braune Theke geschoben. Eins hatte er gleich in den Mund gesteckt und hielt es hinter den Zähnen. Lakritze war rar geworden. So ähnlich muss Schokolade schmecken, dachte er. Aber er erinnerte sich nicht mehr genau. Ich lege meine Pudelmütze auf die Heizung. Und den Rücken lehne ich dicht dran. Hoffentlich werde ich trocken.
    Die Türklingel schepperte. Eine alte Frau trat herein. Sie war ganz in ein schwarzes Wolltuch gehüllt.
    »Für mein Rheuma etwas, Frau Apothekerin, für mein Reißen.«
    Sie erhielt eine rote Tube.
    »Keinen Franzbranntwein?«
    »Zum Trinken, he?«
    »Aber Frauchen!«, tat die Alte beleidigt. »Zum Einreiben, nur zum Einreiben.«
    »Dafür ist auch die Salbe gut«, entschied die Apothekerin.
    »Haben Sie die Kinder auf den Autos gesehen?«, fragte die Alte.
    »Es fahren so viele Autos.«
    »Sie sind schon vierzehn«, wagte Konrad einzuwenden.
    »Vierzehn, vierzehn! Kinder sind es, basta. Gehören an Mutters Herd!«
    »Und der Endsieg?«, fragte die Apothekerin und zerstieß in einem Mörser
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