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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe
Autoren: Willi Faehrmann
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er an den missmutigen Gesichtern der Soldaten, dass sie nicht aus Gier nach Schnaps und Gold und Frauen in dieser Nacht zur Mühle gekommen waren. Auch ging die Rede, dass der Ortskommandant ein strenges Regiment führte und den Dörflern Ruhe und Schutz für Leib und Leben versprochen hatte.
    Der Müller zeigte seinen Registrierschein, die Tante wies ihren vor, Gertrud fand ihren nicht gleich. Schließlich war Konrad an der Reihe.
    »Stell dich an diese Wand«, befahl der Soldat schroff. Vater, Hedwig, Albert, auch Hubertus und Mutter mit den beiden Kleinen beorderte er in die eine Ecke des Zimmers. »Ihr kommt mit.«
    »Wohin sollen wir?«, fragte Vater.
    »Weiß ich nicht. Kommt. Los!«
    »Wir müssen uns erst anziehen«, wandte Vater ein und zeigte auf die Kinder, die sich in ihren Schlafkleidern um die Mutter drängten.
    »Zehn Minuten Zeit«, stimmte der Soldat zu.
    Der Müller kam mit seinem alten Rucksack, stopfte Lebensmittel hinein, wickelte eine große Flasche Milch in ein Tuch und band Mutters Decke darüber.
    »Zieht alle Sachen an, die ihr habt«, sagte Vater.
    Die Soldaten verließen den Raum und redeten im Flur laut miteinander.
    »Was ist mit euren Sachen in der Pulverkammer?«, fragte der Müller.
    »Bitte«, flüsterte die alte Tante des Müllers nur. Sie hatte dort ihre letzten Wertsachen verborgen. Vater schwieg.
    »Du hast deinen Kommunionanzug auch dort«, erinnerte Hedwig den Bruder.
    »Und meine ganzen Papiere, die Urkunden von Haus und Hof, meinen Hochzeitsanzug.« Vater unterbrach sich. Ihm fiel der Pfingsttag ein, an dem der Müller seinen Anzug verloren hatte.
    »Wenn ihr die Sachen holen müsst«, sagte der Müller ruhig, »dann werden die Polen die Kammer finden und ausräumen.«
    »Wir sind keine Wölfe«, sprach die Mutter leise.
    »Wölfe, Wölfe«, knurrte Vater.
    Der Müller reichte ihm den Rucksack. Auch Hubertus und die Kinder hatten in aller Eile kleine Gepäckstücke zusammengeschnürt. Konrad trug in seiner Decke einen Topf Schmalz und sein Angelzeug. Armer Marian, dachte er, wirst vergeblich auf mich warten müssen. Hedwig hatte einige Windeln für Elisabeth eingepackt und die Müllerstante steckte ihr ein Brot zu.
    »Los, los!«, drängte der Soldat.
    Sie mussten hinaus.
    Vater versuchte aus den Polen herauszubekommen, was mit ihnen geschehen sollte. Doch sie schwiegen mürrisch. Vor dem Dorfkrug brannte eine trübe Laterne. Viele Leute waren dort zusammengetrieben. Einzeln führten Soldaten sie in den Krug. Offenbar wurden sie zum Hinterausgang hinausgelassen.
    Konrad machte sich einen Reim und sagte zu Vater: »Sie wollen uns die letzten Sachen abnehmen.«
    Vater lächelte ein wenig und dachte: Schon die Kinder verstehen sich heute auf Diebstahl und Raub. Er trat zu dem Wachtposten und sprach auf ihn ein, zeigte auf Mutter und den Säugling und auf Franz, der immer noch stolz auf seiner Schulter ritt. Der Soldat hörte ihn geduldig an, sagte nichts, erlaubte aber Mutter um das Haus herumzugehen. Vater folgte ihr.
    Die Kinder trieb der Posten in die Schlange zurück. Konrad und Hedwig wurden zusammen in die Gaststube gebracht. Sie mussten ihr Gepäck auf dem Boden ausbreiten. Konrads Angelschnur fasste ein breitschultriger junger Offizier mit zwei Fingern, lachte und warf sie in die Ecke zu allerlei Dingen, die den Leuten vor ihnen abgenommen worden waren. Aus mit unserem Fischen, Marian, dachte Konrad traurig. Und wer weiß, ich glaube, du wärst mein Freund geworden.
    Ein anderer Soldat trat hinter dem Tisch hervor, zog sein Seitengewehr aus der Scheide und stocherte in dem Schmalztopf.
    »Patronen?«, fragte er.
    Konrad zog die Stirn kraus. »Nein, nur Schmalz.«
    Der Topf wurde beschlagnahmt. Ebenso ging es den Decken und Hedwigs Brot. Nur für die Windeln hatten sie offenbar keine Verwendung. Sie blieben das Einzige, was die Kinder von ihren Bündeln aus dem Haus trugen. Und die Uhr, die Konrad unter die Achsel geklemmt hatte.
    »Dort hinaus«, rief der Soldat und stieß sie durch die Hintertür in die Finsternis.
    Vater und Mutter allein waren nicht ausgeräubert worden. Alle Flüchtlinge wurden auf der Straße zu einem lockeren Zug geordnet. Es waren an die fünfzig Menschen. Schnell trieben die Soldaten den Zug vorwärts. Die kleineren Kinder begannen zu jammern und die Alten japsten nach Atemluft.
    Die Nacht tropfte dahin, endlos, eintönig. Fahles Licht wuchs schließlich im Osten. Eine Drossel schlug verschlafen. Auf den Wiesen lagen Nebelbänke. Apfelsinenfarben
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