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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe
Autoren: Willi Faehrmann
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Tisch gegangen. Er stürzte in die Stube. Der Müller sprach gerade das Tischgebet: »Segne uns und diese …«
    »Der Krieg ist aus!«, rief Konrad aufgeregt dazwischen.
    »Deutschland hat bedingungslos kapituliert.«
    Der Müller hielt einen Augenblick inne und betete leise weiter: »… und diese deine Gaben, die wir durch deine Güte nun empfangen werden. Amen.«
    Alle standen schweigend.
    »Der sechsjährige Krieg ist aus. Wir haben heute den 8. Mai 1945«, sagte Vater.
    Sie löffelten ihre dünne Suppe. Die Kinder schnatterten leise.
    »Wir dürfen bestimmt wieder nach Leschinen«, flüsterte Hedwig.
    »Dort schenkt mir Vater ein schneeweißes Kaninchen«, träumte Albert, und Konrad fragte: »Ob meine Angelrute wohl noch unter dem Gebüsch liegt?«
    Doch zunächst ließ es sich mit der Heimkehr schlecht an. Vater schnitzte das letzte Rad für das Mühlwerk fertig und flickte mit Draht den lahmen Flügel. Endlich, als die Suppe beinahe nur noch aus Wasser und Grünzeug bestand und Brot eine Sonntagsspeise wurde, da stand die Mühle zum Mahlen bereit.
    »In dieser Nacht dreht sich der Mühlstein«, verkündete der Müller stolz. Konrad stand schon seit dem späten Nachmittag auf dem Hügel und prüfte den Wind. Er netzte seinen Finger im Mund und steckte ihn in die Luft. An keiner Seite spürte er Kälte.
    »Kein Wind, Müller«, sagte er.
    Der Müller versuchte es auch. Dreimal, fünfmal.
    »Kein Wind«, bestätigte er traurig, zog seine Mütze ab und ging ins Haus zurück.
    Konrad hörte ihn in der Nacht wiederholt hinausschleichen. Langsam und vorsichtig kehrte er nach eine Weile zurück. Kein Wind.
    Ungeduldig umkreiste er die Mühle in den folgenden Tagen und schaute sich die Augen nach weißen Wolken aus. Sein Zeigefinger war vom häufigen Befeuchten rosig und weich geworden. Er hätte die geringste Kühle des leisesten Windhauches sofort gespürt. Aber selbst die blieb aus.
    Endlich, am neunten Nachmittag, glaubte Konrad von Norden her einen Luftzug zu spüren. Der Finger wurde merklich kalt. Das Gras bewegte die Spitzen, und die Blätter der Espe im Tal glitzerten.
    »Wind!«, rief er durch die hohle Hand zum Haus hinüber. Der Müller eilte heraus. Er war ganz ausgelassen. »Heute bläst es die ganze Nacht«, prophezeite er und behielt Recht.
    Gegen neun Uhr bespannten Vater und er die Flügel der Mühle mit weißen Segeln. Um zehn Uhr löste der Müller den Riegel. Das Holzwerk knarrte, die Zähne fassten ineinander, die Räder drehten sich und mit ihnen der Mühlstein.
    »Nun aber ins Bett«, befahl Vater.
    Als Konrad am nächsten Morgen aufwachte, trug der Müller einen kleinen Sack Mehl auf der Schulter in die Küche. Hände und Gesicht waren weiß überpudert. Mutter öffnete den Sack und ließ das Mehl durch die Finger gleiten. Der Müller konnte ihr Urteil gar nicht abwarten.
    »Na, Frau, was sagst du dazu?«, rief er fröhlich.
    »Feines, weißes Mehl aus Roggen.« Mutter lächelte spitzbübisch.
    »Roggen?«, entrüstete er sich. »Roggen? Das ist Weizenmehl, reines Weizenmehl, dreifach gesiebt.«
    Doch weiter ging es nicht in diesem Streit. Konrad stürzte herein und warnte: »Sechs Soldaten. Sie sind schon halbwegs oben und gehen schnell.«
    Die Mädchen und Frauen verkrochen sich. Die Soldaten nahmen nichts mit. Bis auf das Mehl. Das feine, reine Weizenmehl. Der Müller aber ließ den Mut nicht sinken. »Wir werden in dieser Nacht wieder mahlen. Doch dann bringen wir den Schatz in die Pulverkammer.«
    »Wie wäre es, wenn wir den Rest unserer guten Sachen auch dort lagerten?«, schlug Vater vor.
    »Nach neunzehn Plünderungen reicht der Raum gewiss«, spottete die Schwester des Müllers.
    Jedoch wunderten sich alle, dass sie nicht selbst schon eher auf diesen Gedanken gekommen waren. Konrad half Vater und schleppte mit ihm die schmale Kiste hinunter.
    »Dein Kommunionanzug wird dir allmählich zu eng werden«, vermutete Hedwig.
    »Ja, Konrad wird groß und stark«, prahlte Albert und befühlte Konrads Armmuskeln. »Knochenhart«, stellte er fest.
    »Kein Wunder«, keuchte Konrad, »bei dieser Last.«
    Die Pulverkammer barg die letzte Habe von vier Familien.
    »Sicher und gut«, glaubte Konrad.
    »Sicher ist nichts mehr«, berichtigte ihn Hubertus.
    »Ich glaube, hier doch«, meinte auch Vater zuversichtlich und freute sich, dass er seinen schwarzen Hochzeitsanzug durch alle Fährnisse hindurch gerettet hatte.

30
    Der Apfelschimmel Nikolai hatte sich längst an Deichsel, Wagen und Plane
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