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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe
Autoren: Willi Faehrmann
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Arm.
    »Es sind die letzten. Gott soll mir verzeihen. Aber in dieser Zeit werden die Herzen zu Stein.« Er nahm eines der Brote und legte es Hedwig in den Schoß.
    Da öffnete Vater seinen Sack, zog die letzte Rauchwurst heraus, die sie aus Leschinen mitgebracht hatte und schnitt ein gutes Stück herunter. Wortlos reichte er den Zipfel dem Müller. Der nahm das Geschenk und schloss hinter sich die Tür. Vater steckte die Wurst wieder in den Rucksack und brach für jeden ein Stück Brot ab. Alle wurden satt und es blieb fast ein halbes Brot übrig für den nächsten Tag.
    Die Russen zogen weiter. Es folgte eine neue Besatzung. Diese wollte Beute und auch die nächste und übernächste. Beinahe keinen Tag blieb es ruhig in der Mühle. Der Müller war seit dem neunten April mit seinen Mädchen zurückgekehrt, gerade an dem Tag, an dem es Hubertus gelang, ein uraltes Radiogerät an eine Batterie anzuschließen, sodass sie Nachrichten hören konnten.
    »Königsberg ist gestern gefallen«, berichtete er und alle wunderten sich, dass so weit im Osten immer noch gekämpft wurde. Mutter bestand darauf, dass das Gerät außerhalb des Hauses untergebracht wurde.
    »Komm, ich weiß einen Platz«, schlug Konrad vor. Mit Hubertus und Albert rannte er über die Hügelkuppe hinweg in ein mit Strauchwerk bewachsenes Tal. Konrad drängte sich durch Haselgebüsch und Hainbuchen und bog schließlich im Dickicht die Zweige auseinander.
    »Hier«, sagte er stolz.
    Eine verrostete, niedrige Eisentür stand halb offen. Dickes Ziegelmauerwerk ragte nur wenig über den Erdboden hinaus. Der Raum war niedrig und kaum zwei mal drei Meter groß. Es roch feucht und muffig.
    Hubertus sah gleich, welch günstiges Versteck diese Kammer abgab.
    Später erzählte er bei der Mittagspause: »Das Radio ist gut untergebracht. Im Dickicht liegt eine kleine Kammer, halb in der Erde.«
    »Ach«, erinnerte sich der Müller, »es gab vorzeiten einen Steinbruch drüben am Bach. Du meinst sicher die Pulverkammer?«
    »Ja, das kann sein. Sie hat nämlich dicke Wände und eine Eisentür«, bestätigte Albert.
    Die Pulverkammer wurde ein rechter Schlupfwinkel. Der Müller hatte vorgeschlagen, dass ständig eine Wache den Weg überblicken und ein Zeichen geben sollte, sobald sich die Russen vom Dorf her näherten. Gleich am ersten Tag hatte sich gezeigt, wie nützlich dieser Wachdienst war. Viermal waren die Mädchen des Müllers eilends über die Kuppe ins Gebüsch des Tales geflohen und die Russen suchten vergeblich nach Arbeiterinnen für ihre Küche und nach Frauen, die mit ihnen trinken und feiern sollten.
    Tagelang kam dann gar kein Mann in Uniform herauf. Die Zahl der Bewohner der Mühle wuchs ständig. Frauen und Kinder, meist Verwandte des Müllers aus dem Dorf, suchten Zuflucht auf dem Berg. Mittags saßen sechzehn Personen um den Tisch. Sechzehn Personen haben sechzehn Mägen. Es gab noch ein paar Doppelzentner Roggen in der Vorratskammer. Doch das hölzerne Räderwerk der Windmühle war nicht in Ordnung und auch ein Flügel war zerbrochen.
    »Wenn wir nur mahlen könnten«, seufzte der Müller. Er betrachtete mutlos zwei geborstene Zahnräder und betastete den halben Flügel. Vater stand neben ihm und meinte: »Die Räder könnten wir schnitzen und den Flügel notdürftig ausbessern.«
    Der Müller schien das zu bezweifeln.
    »Wir stammen aus einer alten Zimmermannsfamilie«, sagte der Vater. »Mein Vater Lukas und mein Urgroßvater Friedrich waren in der ganzen Ortelsburger Gegend berühmt für ihre Zimmermannskunst. Eigentlich stammen wir aus Liebenberg. Alle Häuser dort hat meine Familie gebaut. Und sogar eine Brücke und eine Kirche in Amerika.«
    Der Müller lachte ungläubig, doch schöpfte er Mut, als Vater ihm nach vier Tagen das erste Holzzahnrad, groß wie ein Kuchenteller, fertig vorlegte. Er passte es ein und strahlte. Hubertus und Konrad saßen oft über Stunden beim Vater. Der Junge liebte den frischen Geruch des Holzes und freute sich an den springenden Spänen.
    »Lauf, Konrad, hör die Nachrichten«, sagte Vater an einem klaren Maitag.
    Konrad zog seine kleine Uhr aus der Tasche. Es war Viertel nach zwölf. Er schlenderte ins Tal hinunter und stellte das Radio ein. Die Batterie war fast leer. Knattern und Zischen drangen aus dem Lautsprecher. Dann hörte er eine Stimme. Es klang, als spreche sie in Sturmwind hinein. Konrad verstand nur die ersten Sätze. Dann schaltete er hastig ab und rannte zur Mühle zurück. Die Männer waren zu
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