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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe
Autoren: Willi Faehrmann
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fragte Vater. Hubertus zuckte die Achseln.
    »Warum? Er war wütend, weil der Arzt noch nicht da war. Das war alles.«
    Vater beugte sich zu Albert und versuchte ihn zu trösten: »Ich werde dir ein neues Karnickel schenken, Albert, ein schneeweißes.«
    »Erschlagen«, weinte Albert. Er schien Vater gar nicht zu hören.
    »Es ist aus mit der Station.« Sie erschraken, weil der Korporal plötzlich hinter ihnen stand. »Die Station wird heute aufgelöst. Die Tiere sind gesund. Der Tierarzt ist zufrieden.« Der Korporal spitzte die dicken Lippen und pfiff eine kurze Melodie.
    »He, warum heulst du?«, fragte er und stieß Albert mit dem Stiefel.
    Warum sagt Vater ihm nicht, was er für ein Schuft ist?, dachte Konrad. Vater ballte die Fäuste in der Tasche und drehte sich um.
    »Ach, Bienmann«, sagte der Korporal, »ihr könnt jetzt nach Hause gehen. Ich brauche euch nicht mehr.«
    »Ja, Korporal.«
    »Kennst du deinen Apfelschimmel noch, Bienmann?«
    »Ja, Korporal.«
    »Den du gesund gemacht hast?«
    »Ja, Korporal.«
    »Nimm ihn mit.«
    »Ja …Was?«
    »Nun, den Apfelschimmel. Ich schenke ihn dir.«
    Konrad blickte den Korporal an. Wollte er Vater quälen?
    Doch Vater schien zu glauben, was der Korporal sagte.
    »Hubertus. Ein Pferd! Los, wir holen es.«
    Sie rannten in den Stall. Wenig später führte der Vater den großen Wallach heraus. Er war mager. Aber sein Auge blitzte. Misstrauisch blickten sie sich um. Würde der Korporal sie zurückrufen? Doch er stand in der Toreinfahrt und winkte.
    »Vater«, sagte Albert. Er schluckte die Tränen hinunter.
    »Ja, Albert.«
    »Hat das Pferd einen Namen?«
    »Ja, Junge.«
    »So?« Albert schien enttäuscht.
    »Es heißt Nikolai«, lächelte verschmitzt der Vater.
    Da schien die Sonne wieder in Alberts Gesicht.
    »Warum sind die großen Leute einmal so und einmal so?«, grübelte Konrad. »Erst erschlägt er Alberts Nikolai, dann verschenkt er ein ganzes Pferd.« Konrad schaute noch einmal zurück. Da stand der Korporal, breit, stiernackig, und winkte und lachte.

28
    Um fünf Uhr lag das Dorf menschenleer. Selbst die Russen schienen ausgeflogen. Den Bienmanns war nicht mehr wohl in ihrer Stube. Alma und der Bauer hatten bei einem Nachbarn auf dem Fuhrwerk aufsitzen dürfen.
    »Wir brauchen einen Wagen«, sagte der Vater. »Auf der Straße vor dem Ort, da fänden wir wohl einen.«
    »Soll ich gehen?«, fragte Hubertus.
    »Bitte, Hubertus. Ich möchte, dass Johannes hier bleibt.«
    Mutter war blass und schwach. Sie brachte es kaum fertig, das Kind in die Windelfetzen zu schlagen, die Alma ihr aus alten Hemden gerissen hatte.
    »Ich gehe mit«, bot sich Konrad an.
    Niemand widersprach. Sie gingen schnell durch das tote Dorf und dämpften unwillkürlich ihre Schritte. Plötzlich zog Hubertus den Jungen vom Weg hinter einen Schober. Die Russen kehrten zurück. Konrad lugte durch einen schmalen Spalt nach ihnen aus. Sie waren mit Beute beladen. Eine schlug einer Flasche den Hals ab und ließ sie kreisen. Sie lärmten und lachten. »Sie haben die Fuhrwerke vor dem Dorf erwartet und ausgeräubert«, sagte Hubertus. »Die Leute hatten ihre besten Sachen aufgeladen. Darauf haben sie gewartet.«
    Sie schlichen um den Schober herum und schritten durch eine Wiese der Landstraße zu. Da lagen Wagen umgestürzt, Federn, überall Bettfedern, die aus aufgeschlitzten Oberbetten gequollen waren. Kleider bedeckten die Straße, zertretene Koffer, aufgesprengte Kisten, zerbeulte Wannen, Leinenballen waren über die Straße hin ausgerollt und von dreckigen Stiefelschritten beschmutzt und in den Staub getreten.
    Von den Dörflern selbst war niemand mehr zu sehen.
    »Du warst doch Soldat, Hubertus. Habt ihr es auch so getrieben?«
    »Man kann Unrecht nicht gegen Unrecht wägen, Konrad.« Hubertus dachte daran, dass er in Lille einmal gesehen hatte, wie Soldaten eine Wohnung ausräumten und die Möbel einfach durchs Fenster auf die Straße warfen.
    »Sind Soldaten alle so?«, bohrte Konrad weiter.
    »Die Menschen sind verschieden. Auch die Soldaten. Aber in vielen hat der Krieg ein Biest geweckt, das lange schlief.«
    Sie zogen ein Wagengestell aus dem Graben. Die Deichsel war in Ordnung. Das linke Vorderrad lag zerbrochen im Gras. Sie suchten lange, ehe sie ein halbwegs passendes Rad an einem anderen Wagen fanden. Die Nabe war ein wenig zu groß, doch es lief. Konrad fasste die Deichsel und Hubertus schob. Ohne Mühe bewegten sie das Gestell. Wüstes Geschrei schallte vom Haus der Russen
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