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Das Jagdgewehr

Das Jagdgewehr

Titel: Das Jagdgewehr
Autoren: Yasushi Inoue
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im Sprechen inne und verstummte dann eine Weile ganz und gar. Zunächst glaubte ich, sie sei nur eben überrascht, daß ich für heute ein so exzentrisch wirkendes Gewandstück ausgewählt hatte, und so schwieg ich, halb boshaft, ebenfalls.
    Dann aber sagte sie, wobei sie mich mit kalten Augen musterte:
    »Das ist doch der Haori, den du damals trugst, als du mit Misugi in Atami warst? Ich habe euch gesehen!«
    Ihr Gesicht war überraschend bleich und ernst, und ihre Stimme klang scharf und spitz wie ein Dolch, den sie mir ins Herz zu stoßen gedachte.
    Zunächst wußte ich überhaupt nicht, was sie meinte. Doch kurz darauf ging mir die ganze Bedeutung ihrer Worte auf, ich zog meinen Kimono mechanisch zusammen und setzte mich, als sei dies nun nötig, sehr aufrecht hin.
    Wußte sie denn tatsächlich alles? Und schon seit so langer Zeit?
    Seltsamerweise fühlte ich mich ruhig, so etwa, als stünde ich in einer Abendstunde am Meer und blickte auf die aus der Ferne heranrollenden Wellen. Fast hätte ich mit einer herzlichen, mitleidvollen Geste nach ihrer Hand gegriffen und gesagt: »Oh, du weißt also alles?«
    Nun war der Augenblick gekommen, vor dem ich mich schon immer gefürchtet hatte, aber ich spürte nicht die leiseste Angst in mir. Ein Geräusch so sanft wie das der Wellen am Strande füllte den Raum zwischen uns beiden aus. Der Schleier des Geheimnisses, das Du und ich dreizehn Jahre lang gehütet hatten, war zwar grausam zerrissen worden, aber was ich jetzt vorfand, war nicht der Tod, der mich in Gedanken immer verfolgt hatte. Es war – ja, wie soll ich es nennen? – eine Art von Stille und Friede, eine ganz seltsame Ruhe. Ich war zutiefst erleichtert. Die dunkle, schwere Bürde, die so lange auf meinen Schultern gelegen hatte, war nun endlich fort, und statt ihrer war ein wunderlich den Tränen nahes, leeres Gefühl in mir. Ich erkannte, daß ich über vieles nachzudenken hatte. Es war nichts Dunkles und Trauriges, sondern kam von weither und war still und friedlich. Ich wurde von einer Art Rausch ergriffen, den ich als Befreiung empfand. Wie geistesabwesend saß ich da und starrte in Midori-sans Augen. Ich hörte nicht einmal, was sie sagte.
    Als ich zu mir kam, hatte sie das Zimmer schon verlassen und eilte mit heftigen Schritten den Korridor entlang.
    »Midori-san!« rief ich ihr nach.
    Warum wollte ich sie zurückrufen? Ich weiß es selber nicht. Vielleicht wünschte ich mir, daß sie noch länger, ja immerfort bei mir säße. Wäre sie zurückgekommen, hätte ich vielleicht ganz schlicht zu ihr gesagt: »Würdest du mir Misugi jetzt nicht in aller Form zurückgeben?« Oder ich hätte mit gleichem Herzen das genaue Gegenteil gesprochen: »Nun ist die Zeit da, dir Misugi wieder zurückzugeben.«
    Ich weiß wirklich nicht, welcher der beiden Sätze aus meinem Mund gekommen wäre.
    ›Wenn Midori-san unser Geheimnis entdeckt, werde ich sterben!‹ Was war das doch für ein komisches Traumgespinst! ›Verbrechen, Verbrechen, Verbrechen‹ – was für ein sinnloser Begriff von Verbrechen! Muß denn jemand, der seine Seele verkauft hat, unbedingt selber ein Teufel sein? Hatte ich nicht sogar Gott und mich selber dreizehn Jahre lang betrogen?
    Dann schlief ich tief. Als Shoko mich wachgerüttelt hatte, taten mir alle Gelenke so weh, daß ich nicht aufzustehen vermochte. Ich fürchtete, es breche nun plötzlich die furchtbare Erschöpfung der letzten dreizehn Jahre aus. Als ich zu mir kam, sah ich meinen Onkel neben meinem Kopfkissen sitzen. Du bist ihm einmal begegnet, er ist Unternehmer. Er war gekommen, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Aber er war in Geschäften nach Osaka unterwegs und konnte daher nur eine halbe Stunde bleiben. Er erzählte mir von allen möglichen Dingen und mußte bald wieder gehen, doch während er auf dem Vorplatz seine Schuhbänder knüpfte, bemerkte er: »Kadota hat also vor einiger Zeit geheiratet!«
    Kadota! Wieviel Jahre hatte ich seinen Namen nicht mehr gehört! Natürlich meinte mein Onkel meinen ehemaligen Mann, Reiichiro Kadota. Er erwähnte ihn nur nebenher, aber ich taumelte fast zurück.
    »Wann?« Meine Stimme zitterte so stark, daß ich es selber spürte.
    »Im letzten Monat oder im Monat davor. Er soll sich in der Nähe seines Krankenhauses in Hyogo ein neues Haus gebaut haben.«
    »So?« Das war alles, was ich mit Mühe hervorbrachte.
    Als mein Onkel fortgegangen war, schleppte ich mich langsam, Schritt für Schritt, den Korridor entlang und lehnte mich
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