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Das Jagdgewehr

Das Jagdgewehr

Titel: Das Jagdgewehr
Autoren: Yasushi Inoue
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ich deutlich daran denken. Trotzdem habe ich die Bilder bis auf den heutigen Tag nicht herausgenommen oder sie anderswo eingeklebt. Aber jetzt fühlte ich, daß der Zeitpunkt gekommen war, sie dort herauszulösen. So entfernte ich Kadotas Bilder aus meinem Album und tat sie in das von Shoko, damit sie sie lange als Erinnerung an ihren Vater, als er noch jung war, hüten konnte.
    Ja, das Ich, das ich bisher selber nicht gekannt hatte, war solch ein Wesen! Die kleine Schlange aus Australien, die, wie Du einmal meintest, in mir lauert, hat heute morgen ihren weiß getupften Körper plötzlich sehen lassen. Und die sepiafarbene Schlange aus Südasien, Midori-sans Schlange also, hat unser Atami-Geheimnis mit ihrer roten Zunge verschluckt und dann die unschuldigste Miene aufgesetzt.
    Was ist diese Schlange, die, wie Du sagtest, jeder Mensch in sich hat? Ist es Egoismus, Eifersucht, Schicksal oder das Karma, das dies alles umfaßt und von dem wir uns nicht befreien können? Wie schade, daß ich Dich nun nicht mehr danach fragen kann. Und doch: was für ein trauriges Wesen ist so eine Schlange! Einmal las ich in einem Buch die Worte »Traurigkeit des Lebens«, und nun da ich Dir diesen Brief schreibe, verspüre ich wirklich etwas unsagbar Trauriges und Kaltes, aus dem uns nichts mehr zu retten vermag. Was ist denn diese Qual, die jeder in sich trägt?
    Jetzt, da ich Dir das alles geschrieben habe, wird mir plötzlich klar, daß ich Dich mein wahres Ich noch immer nicht sehen ließ. Mein Entschluß, den ich gefaßt habe, als ich diesen Brief begann, droht langsam zusammenzubrechen, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als all dem Grauenhaften zu entfliehen.
    Was ist das für eine klägliche Ausflucht, von einem »Ich, das ich selber nicht kenne« zu reden! Ich schrieb Dir, ich hätte zum ersten Mal die kleine Schlange in mir entdeckt. Sie sei mir erst heute erschienen.
    Das war gelogen. Es stimmt nicht! Ich kenne sie schon seit langem.
    Mir ist, als zerspringe meine Brust, wenn ich an die Nacht des 6. August zurückdenke, als die Wohnviertel zwischen Osaka und Kobe in ein Meer von Flammen verwandelt wurden. Shoko und ich waren schon geraume Zeit in dem kleinen, von Dir gebauten Luftschutzgraben gewesen, aber sobald das Dröhnen der B-29 den Himmel über uns erfüllte, stieß mich das in eine abgrundtiefe Einsamkeit. Was war das für eine unsagbare, herzerdrückende Einsamkeit! Ich war zum Verzweifeln einsam! Ich spürte, daß ich unmöglich länger still sitzen konnte, tappte ins Freie hinaus, und da sah ich Dich stehen.
    Überall war der Himmel zu einem tiefen Rot entzündet. Das Feuer hatte in der Nähe unseres Hauses begonnen, und nun liefst Du plötzlich zu mir her, und wir standen beide am Eingang unseres Luftschutzgrabens. Schließlich begaben wir uns zusammen hinein, aber kaum war ich dort, fing ich laut zu weinen an. Du und Shoko, ihr dachtet wohl, ich sei vor lauter Angst hysterisch geworden, und auch ich konnte mich selbst später noch, wenn ich darüber nachdachte, nicht begreifen. Verzeih mir! Ich war zwar von Deiner Liebe zärtlich umfangen, von einer Liebe, die viel größer war, als ich es verdiente, aber ich wünschte mir damals sehnlichst, daß ich, genau so wie Du jetzt zu mir geeilt warst, den Unterstand von Kadota aufsuchen könnte, der sich vor seinem schmucken, weißen Krankenhaus in Hyogo befand, das ich von der Eisenbahn aus einmal gesehen hatte. Zitternd vor unwiderstehlichem Verlangen, unterdrückte ich dieses, haltlos schluchzend, nur mit allergrößter Mühe.
    Und doch war ich damals meines anderen Ichs nicht zum ersten Mal gewahr geworden. Als Du mir vor einigen Jahren in der Universität sagtest, ich trage eine kleine Schlange in mir, war ich bestürzt und fühlte mich wie versteinert. Ich habe mich vor Deinen Augen nie zuvor so gefürchtet wie damals. Vielleicht sprachst Du ohne Absicht, aber ich hatte das Gefühl, daß Du mir tief ins Herz blicktest, und so krampfte sich mein ganzer Körper verzweifelt zusammen. Das zornige Unbehagen, das mir die Nähe wirklicher Schlangen bereitet hatte, verflüchtigte sich auf der Stelle. Und als ich furchtsam zu Dir aufsah, standest Du aus irgendeinem Grunde völlig geistesabwesend da und blicktest, die nicht angezündete Zigarette im Mund, versonnen in die Weite. So etwas hatte ich bei Dir noch nie erlebt. Einen so ausdruckslosen Blick habe ich bei Dir noch nie gesehen! Doch das alles dauerte nur einen Augenblick, und als Du Dich mir zuwandtest, war in
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