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Das Inselcamp

Das Inselcamp

Titel: Das Inselcamp
Autoren: Martina Steinkuehler
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ihren eigenen. Der genau so aussah, krank und mager. »Nein!«, rief sie leise.
    »Ich bin am Ende, Britt«, sagte Spinne, wieder rau und bitter wie sonst. »Aber du?« Britt wandte sich ab. Sie sah sich selbst, wie sie geworden war, und sie sah Sterne und sie spürte den Wunsch, sich heftig zu übergeben.
    »Ich habe was gelesen«, sagte Spinne, »über euren Auftrag. Dein Jesus hat es gesagt: Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.«
    »Matthäus 10,16«, sagte eine vertraute Stimme. Tamara. Sie waren über das Watt gekommen, alle elf. Sie standen unter dem Steg und warteten.
    Auf einmal wusste Britt, was zu tun war. Sie stand auf. Sie schob beide Ärmel ihres Kittels hoch und sprang. »Klug wie die Schlangen!«, wiederholte sie kämpferisch. »Oh ja. Kommt mit, ich weiß, was zu tun ist!«

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
    Jotts Schwäche
    Jott wartete vergebens mit seiner Fackel. Es wurde sechs und halb sieben, aber keiner der zwölf ließ sich blicken. Das Kochfeuer im Küchenzelt war schon aus, der Bohneneintopf stand dampfend in der Mitte des Sitzkreises. Der Regen hatte aufgehört, es sah so aus, als könnte das Leben endlich wieder draußen stattfinden. Jedoch: Wie es aussah, gab es überhaupt kein Leben.
    »Wo bleiben sie denn?« Lena wurde als Erste nervös. Jonas beschwichtigte sie nur halbherzig. »Wenn es deine Tochter wäre …«, wehrte Lena ihn ab. Jonas zuckte zusammen. »Ich habe hier zwei Söhne«, sagte er.
    Als eine weitere halbe Stunde vergangen war, schlug Jonas vor, sich auf dem Campingplatz nach den zwölfen zu erkundigen. Denn dass die zwölf sich gefunden hatten, lag auf der Hand, angesichts der Tatsache, dass sie geschlossen fernblieben.
    »Ich komme mit«, sagte Lena. »Wozu?«, sagte Jott. »Helft mir lieber bei den Vorbereitungen.« Er hatte etwas Besonderes vor, für den letzten Tag, das wusste Lena. Aber sie verstand nicht, dass er jetzt davon anfing.
    »Du verdienst gerade keine Hilfe, Jakobsen«, stellte sie klar. Dann nahm sie Jonas beim Arm und verließ mit ihm das Lager. Der Eintopf in der Mitte des Kreises dampfte nicht mehr.
    Jott setzte sich dennoch und schlürfte aus der großen Kelle. Er aß gelassen, mit Genuss. Dann trug er den Topf zurück in das Küchenzelt und deckte ihn sorgfältig ab. »Essen für morgen«, murmelte er vor sich hin. »Danke, Herr, du deckst mir einen Tisch.« Den Rest des Verses dachte er nur: Vor den Augen meiner Feinde.
    Als auch Jonas und Lena nicht zurückkamen, holte Jott seine Gitarre. Die richtige Musik und die richtigen Lieder – auch das gehörte zu seinen Vorbereitungen. »Ich steh vor dir mit leeren Händen«, sang er leise und nachdenklich. Und: »Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott. Mein Los ist Tod – hast du nicht andern Segen …?«
    Als er damit fertig war, wurde es schon dunkel. Jott entzündete ein großes, helles Feuer und schlug andere Töne an. Melodien von Feuer und Sehnsucht, flammend, flehend, und er sang von seinem großen Schmerz. Von einer Aufgabe, die er nicht erfüllte, von Ansprüchen, denen er nicht genügte, von Wirkungen, die er niemals erzielte. Und dann etwas anderes, Sanfteres.
    Gottes Antwort auf seine Klagen: »Lass dir an meiner Gnade genügen. Denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.«
    »Ach, Herr«, sagte Jott und begann zu beten. »Aber ich spüre es nicht. Keinerlei Macht, Herr, keinerlei Gnade …« Er legte die Gitarre zur Seite und brachte seine Angst vor Gott: Angst, dass er die zwölf verloren hatte. Körperlich hoffentlich nicht. Aber sicherlich im Geist.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
    Die große Revanche
    Martin hatte eine Nachricht für Jott. Sie lag vor ihm und er las sie, wieder und wieder, und konnte sich nicht entschließen, sie zu überbringen. Er kannte Jott und seine Schwäche. Er wusste nicht, wie Jott mit dieser Nachricht klarkommen würde.
    »Martin?« An ihrer Stimme hätte er sie immer erkannt, auch noch in hundert Jahren: Lena, die fast zur Familie gehört hatte. Und fest zu LMB. Lena, die biblische Geschichten vorlesen konnte wie keine zweite. Und besser noch erzählen. Erzählen, was sie bedeuteten. Für Jesus und für uns.
    Ihrer Tochter hatte sie es vorenthalten, wie so viele Eltern ihren Kindern das Wichtigste vorenthielten. Glauben und Sinn. Einen Glauben an den Sinn des Lebens. Und an einen guten Willen jenseits der Naturgesetze und des Zufalls.
    So hatte Jott gesprochen, damals,
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