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Das Hotel

Das Hotel

Titel: Das Hotel
Autoren: Heyne
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JD scheint dir ja auf einmal zu gehorchen.«
    Grandma war noch nicht einmal außer Atem. » Kannst du ihn jetzt hören?«
    » Wen?«
    » Sperr deine Ohren auf.«
    Kelly horchte. Ein Zischen und Spritzen.
    » Den Wasserfall?«
    Grandma nickte. » Dann verrate mir mal, in welche Richtung wir müssen.«
    » Woher soll ich das wissen?«
    » Schließe die Augen und öffne die Ohren.«
    Kelly schloss die Augen und lauschte erneut. Doch das Geräusch schien von überall herzukommen.
    » Dreh dich langsam um dich selbst und versuche alles andere zu ignorieren.«
    Kelly drehte sich langsam im Kreis, bis sie die Richtung ausmachen konnte, aus der das Geräusch kam. Als sie die Augen wieder aufschlug, grinste sie.
    » Da lang«, meinte sie und schoss davon.
    Sie lief den Kamm hinab, um eine Kurve und kam zu einer Rodung. Sie schaffte es gerade noch, vor dem Abgrund, der sich urplötzlich vor ihr auftat, anzuhalten. Kelly spürte, wie sich ihr der Magen umdrehte, als sie die Leere vor sich in Augenschein nahm. Höhen waren nicht gerade ihre Stärke, und obwohl sie dreihundert Bahnen im Schulschwimmbad hinlegen konnte, jagte ihr das Sprungbrett immer noch Angst ein. An einem Abgrund zu stehen war einfach nicht ihr Ding.
    Dann erblickte sie den Wasserfall.
    Er war gigantisch. Mindestens zwanzig Meter hoch. Sie trat zwei Schritte zurück, um ihre Höhenangst zumindest ein wenig zu lindern.
    » Herrlich«, sagte Grandma.
    Kelly hatte sie nicht kommen hören.
    » Ich hab’s nicht so mit Höhen.«
    » Deine Augen können dir Angst einjagen, wenn du sie nicht brauchst. Stehst du auf festem Boden?«
    » Ja.«
    » Und wem, glaubst du, solltest du mehr trauen: deinen Augen oder dem festen Boden unter deinen Füßen?«
    » Dem Boden.«
    » Also traue dem Boden. Währenddessen können deine Augen den Anblick genießen, der sich ihnen bietet.«
    Kelly verließ sich auf den Boden und starrte auf den Wasserfall. Ein feiner Nebel schwebte über ihren Köpfen und verursachte gemeinsam mit den Sonnenstrahlen einen doppelten Regenbogen. Es war viel hübscher als eine Postkarte. Und es war nicht länger beängstigend.
    » Hat so Vietnam ausgesehen?«, wollte Kelly wissen, wünschte sich aber sogleich, den Mund gehalten zu haben. Laut Mom sprach Grandma nie über den Krieg. Kelly wusste nur, dass sie vier Jahre als Feldschwester in Vietnam stationiert gewesen war, mehr nicht.
    » Manchmal. Aber es gab auch Gegenden, die so atemberaubend schön waren, dass es fast wehtat.«
    » Hast du da dieses Kung-Fu-Zeug gelernt?«
    » Das ist Karate. Nein, damit habe ich erst nach meinem Einsatz angefangen. Lass uns zurücklaufen. Vielleicht ist Letti ja inzwischen mit dem Reifen fertig. Weißt du noch, wo wir lang müssen?«
    » Hm, eher nicht.«
    » Versuche es einfach. Manchmal überrascht man sich selbst. Und wenn du mal nicht mehr weiterweißt, suchst du nach unseren Fußspuren. Der Untergrund ist weich, und es könnte durchaus sein, dass wir einige hinterlassen haben.«
    Grandma blickte sie ernst aber freundlich an.
    » Wieso lächelst du eigentlich nie?«, wollte Kelly wissen und sah ihr neugierig in die Augen, bereute ihre Frage aber augenblicklich.
    » Das ist im Krieg passiert«, antwortete Grandma. » Die haben mir das Lächeln weggeschossen.«
    Was? Die haben ihr das Lächeln weggeschossen?
    Grandma zwinkerte.
    Kelly grinste, warf einen letzten Blick auf den Wasserfall und wandte sich dann wieder dem Wald zu. Es gab zwar keinerlei Anhaltspunkte, die ihr bekannt vorkamen, aber ab und zu bemerkte sie Fußspuren und wusste so, dass sie sich auf dem richtigen Weg befanden – auch wenn die Spuren irgendwie zu groß schienen. Dann erkannte sie den riesigen Baum wieder, an dem sie auf dem Hinweg vorbeigejoggt waren. Sie änderte die Richtung und legte einen Zahn zu.
    Plötzlich riss etwas an ihrer Schulter und brachte sie aus dem Gleichgewicht. Kelly landete schmerzhaft auf dem Hintern. Eine Hand legte sich über ihren Mund, ehe sie aufschreien konnte.
    » Pst.« Grandma kniete neben ihr, die Hand auf Kellys Mund. » Ruhe!«
    Kelly verstand nicht, was das alles sollte, und wollte schon protestieren, als sie JD sah. Der Hund fletschte die Zähne und kauerte in Angriffsstellung neben ihnen. Seine Nackenhaare standen wie Stacheln aufrecht. Kelly folgte seinem Blick und sah …
    … nichts als Bäume.
    Dann bewegte sich etwas, und Kelly erkannte zwischen dem grünen Dickicht schließlich eine große Gestalt.
    Es war ein Mann, der sich hinter einer
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