Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel

Das Hotel

Titel: Das Hotel
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
gigantischen Eiche versteckte. Der gleiche Kerl, den sie vorher schon erspäht hatte. Er war seinerseits gigantisch und trug ein kariertes Flanellhemd und Baseballkappe. Etwas stimmte mit seinem Gesicht nicht. Ganz und gar nicht. Es war furchtbar. Und seine Augen …
    Seine Augen waren rot.
    Der Mann starrte Kelly an. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solche Angst verspürt.
    JD bellte, und Kelly zuckte vor Schreck zusammen.
    » Hallo«, sagte Grandma zu dem Fremden. » Wir haben uns gerade den Wasserfall angesehen. Falls das Land hier Ihnen gehört und wir nicht erwünscht sind, bitte ich um Entschuldigung.«
    Grandmas Tonfall klang allerdings nicht entschuldigend, sondern eher wie eine Salve aus einem Maschinengewehr.
    Der Mann starrte sie weiterhin an, bewegte sich aber nicht von der Stelle. Er blinzelte nicht einmal.
    Was war bloß mit seinem Gesicht passiert?
    » Wir machen uns dann mal wieder auf den Weg.«
    JD bellte erneut und begann zu knurren.
    » Ruhig, Kleiner, ruhig. Wir wollen nicht, dass du noch mehr Fremde beißt.«
    JD hatte noch nie jemanden gebissen, aber Kelly verstand, was Grandma mit dieser Äußerung bezweckte. Vielleicht würde es den Riesen etwas einschüchtern.
    Aber er machte keinen eingeschüchterten Eindruck, sondern stampfte jetzt von einem Fuß auf den anderen und holte etwas hinter der Eiche hervor.
    Scheiße.
    Eine Schrotflinte.
    » Los«, flüsterte Grandma. » Schnell.«
    Das musste sie Kelly nicht zweimal sagen. Die beiden sprinteten den Abhang im Zickzack hinunter, JD an ihrer Seite. Kelly erwartete, dass der Mann jeden Augenblick schießen würde, und spürte, wie es zwischen ihren Schulterblättern kalt wurde. Dort würde er sie treffen, dessen war sie sich sicher.
    Mom besaß eine kleine Zweiundzwanziger-Pistole. Sie nannte sie ihren Kammerjäger und schoss ab und zu in die Luft, um die Waschbären zu verscheuchen, die um die Mülltonnen strichen. Kelly wusste, was bereits dieses kleine Kaliber für Schaden anrichten konnte.
    Die Flinte, die der Fremde hielt, war um einiges größer.
    Bald hatten sie die Baumgrenze erreicht und befanden sich auf der Straße. Kelly blickte nach links und rechts, aber das Auto war nirgendwo zu sehen.
    Hatte der Mann Mom erwischt?
    » Hier entlang«, sagte Grandma. » Immer der Straße nach und über den Hügel.«
    Grandma wurde schneller, aber Kelly konnte problemlos mithalten. Auf Teer war sie zu Hause, der harte Asphalt unter ihren Füßen fühlte sich gut an. Sie sprintete sogar voraus und spürte, wie sich ihre Muskeln dehnten. JD war an ihrer Seite. Die Steigung war relativ einfach, aber sie spürte sie dennoch in den Schienbeinen. Nach zweihundert Metern musste sie bereits schneller atmen.
    Sind wir hier richtig? Was ist, wenn sich Grandma getäuscht hat? Was, wenn Mom nicht auf der anderen Seite ist?
    Sie warf einen raschen Blick über ihre Schulter. Der merkwürdige Typ verfolgte sie nicht.
    Was war bloß mit seinem Gesicht passiert? Es war total grauenvoll.
    Sie befanden sich jetzt beinahe auf der Anhöhe. Noch zehn Schritte. Fünf. Kelly wünschte sich Mom an ihre Seite und darüber hinaus einen gelungenen Reifenwechsel, sodass sie verdammt noch mal von hier verschwinden konnten. Kelly legte noch einen Zahn zu. Schon war sie auf der Anhöhe und konnte die Straße überblicken …
    Nichts. Weder Mom noch Auto.
    Plötzlich schoss JD davon. Die Leine riss sich aus Kellys Hand, was sie beinahe aus dem Gleichgewicht brachte. Er rannte die Straße entlang, um die nächste Kurve und verschwand aus ihrem Blickfeld.
    Kelly sah Grandma fragend an, die wieder aufgeschlossen hatte. Die alte Frau schaute sie mit ernster Miene an.
    » Das Auto …«, stammelte Kelly.
    » Weiter vorn.«
    » JD …«
    » Auch.«
    Kelly hätte am liebsten zu weinen angefangen. » Ich … Ich habe Angst.«
    » Nutze sie. Jeder hat Angst. Aber du darfst nicht zulassen, dass sie dich lähmt – weder deinen Körper noch deinen Kopf.«
    Kellys Schritte wurden wieder größer – und das war gefährlich angesichts der Tatsache, dass sie jetzt bergab rannten. Sie brauchte bei dieser Geschwindigkeit nur auf etwas Kies auszurutschen oder sonst wie zu stolpern, um sich deutlich mehr als etwas Schorf an den Knien einzufangen.
    » Kelly, nicht so schnell!«
    Aber Kelly wurde nicht langsamer. Ihre Füße trugen sie immer rascher, und sie verlor das Gleichgewicht. Sie stürzte nach vorne und sah bereits vor ihrem inneren Auge, wie ihr Kinn mit voller Wucht auf die Straße schlug.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher