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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire
Autoren: John Irving
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um an Deck zu springen. Kein Tau wurde angerührt. Die Schaluppe, die keine Segel gesetzt hatte, sondern sonstwie angetrieben langsam tuckerte, drehte ab nach Südwesten (wieder nach Boston oder New York) - ohne Angst vor der Nacht -, und was ihnen der Mann in der weißen Smokingjacke zuletzt noch zurief, verlor sich im lauten Blubbern des Motors, im Klatschen des Schiffsrumpfes auf dem Wasser und im Wind, der die Möwen vorbeitrug (wie gefiederte Party-Hüte, die auf den Wellen tanzten, von Betrunkenen hineingeworfen). Für den Rest seines Lebens wünschte sich mein Vater, er hätte gehört, was der Mann damals zu sagen hatte.
    Es war Freud, der meinem Vater sagte, er habe den Besitzer des Arbuthnot-by-the-Sea gesehen.
    »Ja, das war er und kein anderer«, sagte Freud. »So kommt er immer, nur ein paarmal jeden Sommer. Einmal hat er mit einem der Mädchen getanzt, die hier arbeiten - den letzten Tanz; wir haben sie nie wieder gesehen. Eine Woche danach kam einer und holte ihre Sachen ab.«
    »Wie heißt er eigentlich?« fragte Vater.
    »Vielleicht ist er Arbuthnot persönlich, wer weiß?« sagte Freud. »Irgendwer sagte, er sei Holländer, aber seinen Namen hab ich nie gehört. Über Europa weiß er allerdings Bescheid - das kann ich Ihnen sagen!«
    Mein Vater brannte darauf, ihn nach den Juden zu fragen; er spürte, wie ihn meine Mutter sanft in die Rippen stieß. Sie saßen auf einem der Grüns auf dem Golfplatz lange nach Feierabend - wenn das Grün im Mondlicht blau wurde und das rote Tuch schlaff an dem im Loch steckenden Flaggenstock hing. Der Bär namens State o' Maine war ohne Maulkorb und versuchte gerade, sich an dem dünnen Flaggenstock zu scheuern.
    »Komm her, Dummkopf!« sagte Freud zu dem Bären, doch der Bär beachtete ihn nicht.
    »Lebt Ihre Familie immer noch in Wien?« fragte meine Mutter Freud.
    »Meine Schwester ist meine ganze Familie«, sagte er. »Und ich hab schon lange nichts mehr von ihr gehört, im März war es ein Jahr.«
    »Und im März war es ein Jahr«, sagte mein Vater, »daß die Nazis Österreich geschnappt haben.«
    »Als ob ich das nicht wüßte!« sagte Freud.
    State o' Maine, dem der Flaggenstock zu wenig Widerstand entgegensetzte, als daß er sich richtig daran hätte scheuern können, schlug in seiner Enttäuschung den Flaggenstock aus dem Loch, so daß er über das gepflegte Grün wirbelte.
    »Jessas Gott«, sagte Freud. »Er gräbt noch Löcher in den Golfplatz, wenn wir nicht anderswo hingehen.« Mein Vater steckte die alberne, mit einer »18« versehene Flagge in das Loch zurück. Meine Mutter hatte den Abend frei bekommen und mußte nicht servieren, darum trug sie noch die Zimmermädchen-Uniform; sie rannte dem Bären voraus und rief seinen Namen.
    Der Bär rannte nur selten. Es war eher ein Watscheln - und er entfernte sich nie sehr weit von dem Motorrad. Er rieb sich so oft am Motorrad, daß die rote Farbe am Schutzblech ebenso glänzte wie die Chromteile, und der Beiwagen war vorne, wo er spitz zulief, eingedrückt, weil der Bär ständig dagegendrückte. Er hatte sich oft an den Auspuffrohren verbrannt, wenn er sich, kaum daß die Maschine zum Stillstand kam, daran reiben wollte; so kam es, daß ominöse Fetzen verkohlten Bärenfells an den Auspuffrohren klebten - als sei das Motorrad selbst (früher einmal) ein Pelztier gewesen. Entsprechend hatte State o' Maine zerschlissene Stellen in seinem Fell, wo der Pelz fehlte oder zu bräunlichen Klumpen versengt war - Flecken, die die stumpfe Farbe getrockneten Seetangs hatten.
    Wofür der Bär dressiert worden war, blieb allen ein Rätsel - selbst Freud schien es nicht genau zu wissen.
    Ihre gemeinsame Nummer, die sie am späten Nachmittag vor den Gartenparties zeigten, war eine größere Anstrengung für das Motorrad und Freud als für den Bären. Runde um Runde fuhr Freud im Kreis herum, der Bär im Beiwagen, das Verdeck abgenommen - der Bär wie ein Pilot in einem offenen Cockpit ohne Instrumente. State o' Maine trug in der Öffentlichkeit meistens seinen Maulkorb; es war ein Ding aus rotem Leder, das meinen Vater an die Masken erinnerte, mit denen Lacrossespieler manchmal ihr Gesicht schützen. Der Maulkorb ließ den Bären kleiner erscheinen, drückte sein ohnehin schon runzliges Gesicht noch mehr zusammen und verlängerte seine Schnauze, so daß er mehr denn je einem übergewichtigen Hund glich.
    Runde um Runde fuhren sie, und unmittelbar bevor die gelangweilten Gäste ihre Gespräche wiederaufnehmen und diese
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