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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung.
Autoren: Stanislaw Lem
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Stimme bis zum äußersten angespannt. Staub und Schweiß hatten sich auf seinem dunklen Gesicht vermischt, seine Augen waren trunken und unstet.
    Die Ärzte gingen in den Flur; Stefan sah sich an Nosilewskas Seite. Keine Menschenseele. Nur in einem Winkel einige zerknitterte Laken auf einem Haufen. Lange, schwärzlich verwischte Spuren führten zur Treppe. Hinter der Biegung lag eine unförmige Masse, halb an dieHeizung gelehnt: eine Leiche, völlig zusammengesunken, den Schädel gespalten; geronnene Blutzapfen waren daraus hervorgequollen. Eine knorrige, gelbe Ferse ragte unter dem kirschroten Anstaltsrock heraus bis in die Mitte des Korridors. Alle machten einen Bogen, nur der Deutsche, der als letzter ging, stieß den erstarrten Stumpf mit dem Stiefel beiseite. Stefan tanzten die Gestalten vor den Augen. Er mußte sich an Nosilewskas Arm festhalten. So gelangten sie in die Bibliothek.
    Dort herrschte das Chaos. Auf dem Boden vor den beiden Schränken, die die Tür flankierten, türmten sich ganze Bücherstöße. Riesige Folianten, die herausgefallen waren, fächelten bei ihrem Eintreten sanft mit den Blättern.
    Die zwei SS-Leute, die an der Tür gestanden hatten, traten als letzte ein und machten sich sofort auf dem bequemsten Platz breit, dem roten Plüschsofa.
    Stefan flimmerte es vor den Augen. Ringsum schwankte der Boden, die Farben verblaßten, die Umgebung schrumpfte zusammen wie eine gesprungene Blase. Zum erstenmal in seinem Leben wurde er ohnmächtig.
    Als er aufwachte, spürte er, daß er auf etwas Warmem und Elastischem ruhe: Nosilewska hielt seinen Kopf auf den Knien, während ihm Pajączkowski die Beine hochhielt.
    »Was ist mit dem Personal?« fragte er noch ganz benommen.
    »Sie haben die Leute schon am frühen Morgen nach Bierzyniec geschickt.«
    »Und wir?«
    Niemand antwortete. Stefan erhob sich, taumelte, fühlte jedoch, daß er seinen Schwächeanfall überwunden hatte. Draußen nahten Schritte; ein Soldat trat ein. »Ist Professor Lon-kow-sky hier?« fragte er.
    Stille. Schließlich flüsterte Rygier: »Herr Professor … Euer Magnifizenz …«
    Łądkowski, der noch immer vorgebeugt im Sessel saß, in derselben Haltung, in der die Stimme des Deutschen ihn überrascht hatte, richtete sich nun allmählich auf. Der schwere Blick seiner großen Augen glitt ausdruckslos über die Anwesenden hinweg. Dann stützte er sich auf die Lehne und stand mit einiger Mühe auf. Dabei griff er in die obere Jackentasche und holte mit zwei Fingern einen Gegenstand heraus. Der Pfarrer, ganz in Schwarz, in wogender Soutane, wollte auf ihn zueilen, aber der Professor wies ihn mit einer kategorischen Geste ab und strebte der Tür zu.
    »Kommen Sie, bitte«, sagte der Deutsche und ließ ihm höflich den Vortritt.
    Sie saßen schweigend, plötzlich hallte ganz nahe ein Schuß wider wie Donner in einem geschlossenen Raum. Es wurde unheimlich. Sogar die SS-Leute, die sich auf dem Sofa unterhielten, verstummten. Schweißgebadet rieb sich Kauters die Hände, bis die Sehnen quietschten, sein ägyptisches Profil zog sich zu einer gezahnten Linie zusammen. Rygier verzerrte den Mund wie ein Kind und kaute auf den Lippen. Nur die Nosilewska, die zusammengekauert dasaß – das Gesicht auf die Fäuste und die Ellenbogen auf die Knie gestützt –, sah ruhig aus. Ruhig und schön.
    Stefan wurde übel in der Magengrube. Der ganze Leib weitete sich ihm vor Schweiß und wurde glitschig, ein ekelhaftes, feines Zittern überrieselte seine Haut. Als er die Nosilewska ansah, mußte er denken, daß sie auch im Tode noch schön sein würde, und der Gedanke barg eine Spur perverser Genugtuung.
    »Es hat den Anschein, als ob … die uns alle …«, flüsterte Rygier Staszek zu.
    Die Ärzte saßen in den roten Sesseln, nur der Pfarrer stand in der dunkelsten Ecke zwischen zwei Schränken. Stefan lief zu ihm.
    Der Pfarrer murmelte vor sich hin.
    »Sie … bringen uns um«, begann Stefan.
    »Pater noster, qui es in coelis …«, sprach leise der Pfarrer.
    »Das ist nicht wahr!«
    »Sanctificetur nomen Tuum …«
    »Sie irren sich, Sie lügen«, entgegnete Stefan heiser. »Es gibt nichts, nichts, gar nichts! Ich habe das begriffen, als ich ohnmächtig wurde. Dieses Zimmer hier und wir Menschen darin, das alles hier, das ist nur unser Blut. Wenn es zu fließen aufhört, beginnt alles schwächer und schwächer zu pulsieren, selbst der Himmel, ja auch der Himmel stirbt. Hören Sie, Pfarrer?« Er zupfte ihn an der Soutane.
    »Fiat voluntas Tua
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