Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung.
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
er aus dem Fenster, ob nicht schon der Morgen graute, und ging in die Apotheke, um einen Schluck Brom zu nehmen. Er kramte gerade zwischen den Flaschen in den Regalen, da näherten sich leichte Tritte.
    Es war Łądkowski, der in seinem schwarzen, lose sitzenden Anzug auf der Schwelle stand.
    »Magnifizenz ….?«
    Stefans Anwesenheit schien dem Professor nicht zu behagen.
    »Nein, ich brauche nichts. Gar nichts«, wiederholte er und blieb eine Weile an der Tür stehen.
    Ładkowski war bleich und machte einen kranken Eindruck. Er vermied es, Stefan in die Augen zu sehen. Er machte eine Bewegung, als wollte er umkehren, legte sogar schon die Hand auf die Türklinke, trat dann aber kurz entschlossen ganz dicht an Stefan heran. »Ist … Zyankali da?«
    »Wie bitte?«
    »Ich meine, haben wir Zyankali hier in der Apotheke?«
    »Ach so, ja natürlich«, murmelte Stefan, ohne seine Gedanken sammeln zu können. In seiner Bestürzung ließ er eine Dose Luminal fallen, die am Boden zerschellte. Er wollte sich bücken und die Scherben auflesen, richtete sich aber wieder auf und sah den Professor abwartend an. »Der Schlüssel hängt hier, Euer Magnifizenz … hier!«
    Das Zyankali stand mit den anderen Giften in einem Wandschränkchen unter Verschluß.
    Der Professor zog eine kleine Schublade heraus und wählte umsichtig ein leeres Pyramidonröhrchen. Dann nahm er einen Napf aus dem Fach, entfernte den Pfropfen mit einer Scheere und streute vorsichtig etwa ein Dutzend weiße Kristalle in das Röhrchen, korkte es wieder zu und steckte es in die obere Jackentasche. Nachdem er den Schrank verschlossen und den Schlüssel an seinen Platz gehängt hatte, wandte er sich zum Gehen. Doch er drehte sich noch einmal um: »Bitte, sprechen Sie zu niemand darüber …«
    Plötzlich ergriff er Stefans Hand, preßte sie mit seinen kalten Fingern und sagte halblaut: »Ich bitte Sie sehr darum.«
    Hastig verließ er den Raum, schloß die Tür aber behutsam.
    Stefan stand an den Tisch gelehnt; er spürte noch den Druck von Łądkowskis Fingern. Er besah sich seine Hand genau. Dann kehrte er an den Schrank zurück, nahm das Brom heraus und verharrte eine geraume Weile mit gehobener Flasche.
    Vor kurzem noch hatte er Łądkowskis schmächtige Greisenbrust durch das halboffene Hemd gesehen. Jetzt wurde er die Erinnerung an das Märchen vom mächtigen König nicht los.
    Dieser König herrschte über ein riesiges Reich. Seiner Stimme gehorchten Völker im Umkreis von tausend Meilen. Als er einmal erschöpft auf seinem Thron einschlief, beschlossen seine diensteifrigen Höflinge, ihn zu entkleiden und in die Schlafgemächer zu tragen. Sie nahmen ihm den Hermelinmantel ab, unter dem eine goldbestickte Purpurrobe leuchtete. Als sie auch diese abgenommen, prangte darunter ein Seidengewand, das mit Sonnen und Sternen besät war. Unter diesem schimmerte ein Kleid ganz aus Perlen. Das folgende war mit Rubinblitzen bestickt. So zogen sie ein Kleid nach dem anderen aus, bis ein großer funkensprühender Haufen vor ihnen lag. Da sahen sie sich entgeistert an und riefen laut: »Wo ist unser Herrscher?« Denn die unzähligen kostbaren Gewänder bargen keine Spur von Leben. Das Märchen hieß »Wie eine Zwiebel gehäutet wird oder Von der Majestät«.
    Die Besprechung bei Kauters dauerte eine ganze Stunde. Endlich verstand sich der Chirurg zu einer sogenannten »splendid isolation«: Er wisse von nichts und wolle sich auch in nichts einmischen. Er sei ausschließlich über das unterrichtet, was im Operationssaal vor sich gehe. Sekulowski avancierte zum Arzt auf seiner Station. Dr. Nosilewska, die Stefan von dieser Unterredung erzählte,ließ nebenbei die Bemerkung fallen, Schwester Gonzaga habe bei Kauters auf zwei zusammengerückten Sesseln geschlafen. Schwester Gonzaga? Stefan war nicht einmal mehr imstande, sich zu wundern. Er fühlte sich wie gelähmt und sah alles durch einen leichten Schleier. Es war gegen sechs Uhr. Als er langsam durch den Korridor im Erdgeschoß ging, stieß er auf Rygier, der mitten im Flur auf einem Paralytikerstuhl saß. Vor ihm stand eine Flasche, die er immer wieder vorsichtig mit der Fußspitze anstieß, als wollte er sich an dem reinen Klang des Glases berauschen.
    Stefan fiel der gespannte Gesichtsausdruck Rygiers auf, der einen bevorstehenden Weinkrampf vermuten ließ. Stefan wagte nicht zu sprechen.
    Plötzlich schüttelte es Rygier so heftig, daß er hochsprang; er hatte vergebens versucht, einen Schluckauf zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher