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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung.
Autoren: Stanislaw Lem
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Beine hervorragten. Nur weil Stefan ab und zu in der Ecke oder vor der Tür verharrte, gelang es ihm, den Saal zu erreichen, in dem der Junge schlief. Als er ihn gefunden hatte, mußte er von seinen Fäusten Gebrauch machen, um sich Ausgang zu verschaffen. Doch plötzlich sperrte sich der Junge weiterzugehen und zerrte Stefan zurück in die Ecke. Hier holte er unter dem Strohsack ein Paket hervor, das in ein grobes Tuch gehüllt war. Dann aber ließ er sich widerspruchslos zur Tür führen.
    Stefan atmete auf, als er sich mit abgerissenen Knöpfen und mit Nasenbluten im Flur wiederfand. Das Gebrüll hinter der Tür wurde immer lauter. Er übergab den Jungen Józef, der in Marglewskis Wohnung ein Versteck einrichten half, und ging von neuem nach unten. Auf dem Treppenabsatz merkte er, daß er etwas in der Hand hielt: das Paket, das der Junge ihm anvertraut hatte. Stefan steckte es unter den Arm, nahm eine Zigarette und sah mit Schrecken, wie ihm beim Anzünden die Hände zitterten.
    Als die versteckten Patienten schließlich vom dritten Anfall heimgesucht wurden, verabreichte Pajączkowski, der allgegenwärtig schien, jedem eine Dosis Luminal. Es graute schon, da konnten mehr als dreißig Kranke, in einen narkotischen Schlaf versenkt, endlich in den drei Wohnungen eingeschlossen werden.
    Pajączkowski selbst vernichtete ihre Karteikarten, ohne Stefans ängstliches Händeringen zu beachten. Er stand vom Boden auf und schloß den Ofen, in dem er die Papiereverbrannt hatte. Während er sich die rußigen Hände abwischte, sagte er: »Das nehme ich alles auf meine Kappe.«
    Dr. Nosilewska folgte dem Adjunkten auf Schritt und Tritt, blaß, aber beherrscht. Für Pfarrer Niezgłoba wurde in aller Eile die Stelle eines »Anstaltsgeistlichen« eingerichtet. Sein durchdringendes Flüstern war aus der dunkelsten Ecke der Apotheke zu hören. Er betete.
    Stefan, der ziel- und planlos durch die Korridore raste, lief Sekulowski beinahe in die Arme.
    »Hören Sie, Doktor«, rief der und hielt ihn am Mantel fest, »wäre es nicht möglich, daß man mir einen Arztkittel gibt? Sie wissen doch, ich bin in der Psychiatrie bewandert …«
    Er lief hinter Stefan her, als wollte er mit ihm Fangen spielen. Stefan blieb schnaufend stehen und überlegte. Schließlich sagte er: »Warum nicht? Es ist sowieso alles einerlei. Wenn man’s für den Pfarrer machen konnte, wird es auch für Sie gehen … Aber andererseits ….«
    Sekulowski ließ ihn nicht ausreden. Jeder versuchte den anderen zu überschreien. So gelangten sie an die Treppe. Pajączkowski stand im Zwischenstock und erteilte den Pflegern die letzten Anweisungen.
    »Und ich sage, man muß sie alle vergiften!« schrie Krzeczotek mit feuerrotem Kopf.
    »Das wäre nicht nur Unsinn, sondern ein Verbrechen«, erwiderte Pajączkowski. Große Schweißperlen rannen ihm von der Stirn und glitzerten in den weißgefiederten Brauen. »Vielleicht wird Gott noch alles zum Guten wenden … was dann? So aber … setzen wir die dreißig unnötig der Gefahr aus, und uns mit!«
    »Nehmen Sie doch diesen Rotzjungen nicht ernst«, warf Rygier verächtlich ein, der im Hintergrund stand. Aus seiner Kitteltasche lugte eine Flasche Spiritus.
    »Sie sind ja betrunken!«
    »Herr Adjunkt«, mischte sich Stefan ein, den Sekulowski in Pajączkowskis Nähe gedrängt hatte. »Die Sache ist die …«
    »Nun, ich weiß nicht, ob das ratsam wäre«, meinte Pajączkowski, als er sich Sekulowskis Vorschlag angehört hatte. »Sie hätten sich doch lieber in meiner Wohnung verbergen sollen.«
    Er wischte sich die Stirn mit einem weißen Tuch.
    »Nun gut, von mir aus. Einen Augenblick, Frau Doktor … Liebe Kollegin, Sie haben ja schon Übung in solchen … Eintragungen …«
    »Schon gut, ich eile, das Buch zu fälschen«, erwiderte die Nosilewska mit ihrer angenehmen, hellen Stimme. »Kommen Sie mit!«
    Sekulowski trabte hinter ihr her.
    »Ach so … noch etwas«, sagte Pajączkowski. »Jemand muß zu Kauters. Ich selbst möchte eigentlich nicht gehen … es paßt nicht so recht …«
    Er wartete, bis die Nosilewska aus der Kanzlei zurück war. Sekulowski trieb sich bereits in Stefans weißem Kittel überall im Gebäude umher; sogar sein Hörrohr hatte er in die Tasche gesteckt. Als er jedoch vor der Verbindungstür zwischen den Gebäuden angelangt war und das Geheul der Verdammten hörte, floh er eilends in die Bibliothek.
    Stefan war todmüde. Er sah sich im Flur um und machte eine resignierte Handbewegung. Dann schaute
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