Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung.
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
geniert durch Ksawerys Gegenwart, der sich weiterrasierte, ohne ihn zu beachten.
    Mit einemmal sagte der Onkel, das Schweigen unterbrechend: »Stefan …«
    »Ja, Onkel?«
    »Weißt du eigentlich, wie es gewesen ist?«
    Aus dem Tonfall, in dem diese Worte gesprochen wurden, erriet Stefan sofort, was Ksawery sagen wollte, aber als dürfte man sich in solchen Dingen nicht allein auf Vermutungen verlassen, fragte er sicherheitshalber: »Du meinst mit Onkel Leszek?«
    Ksawery antwortete nicht. Erst nach längerer Pause sagte er unvermittelt, wobei er sich die Oberlippe schabte:
    »Am zweiten September kam er hier an. Er wollte Forellen fangen, dort am Mühlbach, du weißt schon. Und natürlich hat er mir nichts gesagt. Ich kann ihn ja gut verstehen. Aber dann gab es zu Mittag Entenbraten, genau wie gestern, nur mit Äpfeln gefüllt, die jetzt alle sind. Die Soldaten haben sie im September mitgehen lassen. Und stell dir vor, er hat die Ente nicht angerührt, wo es doch sein Leibgericht war. Das gab mir zu denken. Und sein Gesicht gefiel mir auch nicht. Doch bei der eigenen Familie merkt man das immer zuletzt. Man will es einfach nicht wahrhaben oder was …«
    »Widerwillen gegen Fleisch und Kachexie?« warf Stefan ein. Er fand, das klang furchtbar nüchtern; er schämte sich ein wenig, hier als Experte mitzureden, jedoch empfand er auch eine gewisse Befriedigung darüber. Stefan entstieg der Wanne und trocknete sich oberflächlich ab, denn er ahnte bereits, was folgen würde, und wollte sich das nicht nackt anhören. Vielleicht, weil er sich wehrlos gefühlt hätte? Stefan vermochte es nicht zu entscheiden. Ksawery, der ihm, in den Spiegel vertieft, noch immer den Rücken zukehrte, fuhr fort, ohne seine Frage zu beantworten: »Er wollte sich doch nicht untersuchen lassen. Was denkst du, wieviel Mühe ich mit ihm hatte … Durch solche Mätzchen, wie zum Beispiel, daß ich studiere, wie kitzlig jeder Mensch sei, daß ich neugierig prüfe, wer von uns beiden den größeren Bauch habe, brachte ich ihn schließlich so weit … Der Tumor war schon groß wie eine Faust, unbeweglich, ganz hart und wer weiß wie verwachsen …«
    »Carcinoma scirrhosum«, sagte Stefan leise. Warum eigentlich? Er wußte es selbst nicht. Diese lateinische Formel, die den Krebs bezeichnete, war wie ein Exorzismus, eine Art wissenschaftliche Beschwörung, die einer Situation die Ungewißheit, die Ängste und Sorgen nimmtund ihr die Klarheit und Unerschütterlichkeit einer naturgegebenen Notwendigkeit verleiht.
    »Ein Fall, wie er im Buche steht …«, brummte Onkel Ksawery und rasierte unausgesetzt ein und dieselbe Stelle auf seiner Wange. Stefan, in einen zu kurzen Bademantel gehüllt, stand an der Tür, die Hosen in der Hand, ohne sich zu rühren – was blieb ihm auch übrig? Er hörte zu.
    »Wußtest du, daß er beinahe Arzt war? Was, du weißt das nicht? Wirklich nicht? Er hat sein Medizinstudium im vierten Jahr abgebrochen. Ein paar Jahre hat er sich eisern der Medizin hingegeben, wir haben sogar gemeinsam angefangen. Ich hatte doch nach dem Abitur soviel Zeit vertrödelt, weißt du. Wegen einer … Nun ja. Bei der Untersuchung also hat er mich sofort durchschaut; da gab es nichts mehr zu erklären. Ich wußte, für eine Operation war es zu spät, aber man ist nun einmal Arzt und will nichts unversucht lassen. Für den Sargmacher ist hinterher immer noch genug Zeit. Ich hatte mir gedacht, es würde einen schweren Kampf geben, indessen war er sofort bereit. Ich fuhr also zu Hrubiński. Eine elende Seele, aber goldene Hände hat der Mann. Erstens einmal wollte er nur für Dollars operieren, die Lage sei ungewiß, und der Zloty könnte fallen. Aber als er die Röntgenaufnahmen sah, lehnte er ab. Ich mußte ihn lange bitten, ehe er nachgab.«
    Hier wandte Herr Ksawery Stefan sein Gesicht zu. Es zeigte einen Ausdruck, als müßte er sich das Lachen verbeißen.
    »Bist du schon einmal vor jemand auf die Knie gefallen, Stefek? Außer in der Kirche, meine ich …«, fügte er schnell hinzu.
    »Nicht daß ich wüßte …«
    »Na, siehst du. Ich aber habe es getan. Du glaubst mirnicht? Auf mein Wort, ich hab’s gemacht! Hrubiński operierte ihn am zwölften September. Die deutschen Panzer standen bereits in Topolów, Owsiane brannte, die verdammten Barmherzigen Schwestern waren geflohen, ich selbst mußte ihm assistieren, zum erstenmal seit Jahren … Er schnitt auf, nähte wieder zu und verließ wütend den Saal. Ich wunderte mich nicht. Ausgeschimpft
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher