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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung.
Autoren: Stanislaw Lem
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ungeheizten Waggon um die Ohren schlug, nur um einen Toten auf seinem letzten Gang einige hundert Schritt zu begleiten.
    Die Tafel, von der man sich jetzt erhob, sah wie immer nach einem reichlichen Mahle erbärmlich aus – abgenagte, von erstarrtem Fett überzogene Knochenreste türmten sich auf den Tellern. Einen Augenblick trat Stille ein: Die Herren griffen in die Taschen nach Zigaretten, der Priester putzte mit einem Lederfleck seine Brille, und die Großtante versank in ein stieres Sinnieren, das einem Schlummer ähnlich gewesen wäre, hätten ihre Augen nicht weit offengestanden. In dieses allgemeine Schweigen fiel wohl zum ersten Male heute die Stimme der verwitweten Tante Aniela. Ohne sich vom Platz zu rühren, starr, geneigten Hauptes, murmelte sie halb in die Tischdecke: »Wißt ihr, es ist alles irgendwie komisch …«
    Ihre Stimme versagte. Keiner vermochte das gespannteSchweigen, das nun folgte, zu brechen; dergleichen hatte es noch nicht gegeben, und man war nicht darauf vorbereitet. Der Priester trat zwar sofort zu Tante Aniela, seine Haltung hatte etwas von dem verlegen-routinierten Gebaren eines Arztes, der schleunigst Hilfe leisten soll, ohne recht zu wissen wie; damit war er aber auch am Ende seiner Kunst, und so stand er vor der schwarzen Gestalt, selbst schwarz in seiner Soutane, mit zitronengelbem Gesicht und geschwollenen Augenlidern, blinzelnd, bis die Dienstboten oder vielmehr die beiden Bauersfrauen, denen diese Rolle oblag, die Anwesenden aus der peinlichen Situation erlösten, indem sie laut klappernd Teller und Schüsseln abräumten.
    Im dämmerigen Salon, nicht weit von den blinkenden Glasscheiben der eichenen Bibliothek entfernt, sprach Onkel Ksawery halblaut und hastig mit den Verwandten. Sie saßen unter der leicht rußenden, von einem orangefarbenen Seidenschirm überspannten Petroleumlampe aus Messing. Einigen schlug er vor, bei ihm zu nächtigen, die anderen informierte er über die Bahnverbindungen und bestimmte, zu welcher Zeit jeder einzelne aufzustehen habe. Stefan wollte ursprünglich gleich die Rückreise antreten, als er jedoch erfuhr, daß sein Zug erst gegen drei Uhr nachts abging, gab er diesen Entschluß auf und ließ sich überreden, bis zum nächsten Tag zu bleiben. Er sollte wieder im Salon gegenüber der Standuhr schlafen und mußte deshalb notgedrungen warten, bis sich alle verliefen. Als es endlich soweit war, zeigte die Uhr kurz vor Mitternacht. Stefan wusch sich rasch, legte im schwachen Schein der flimmernden Lampe die Kleider ab, blies die Flamme aus und glitt mit unbehaglichem Schaudern unter die kühle Decke. Das Schlafbedürfnis, das er zuvor gespürt hatte, war mit einemmal verflogen. Lange lag er auf dem Rücken, ohne einschlafen zu können, währenddie in völliges Dunkel gehüllte Uhr majestätisch und mit übertriebenem Nachdruck die Viertelstunden schlug.
    Seine zunächst vagen, verschwommenen Gedanken kreisten um einzelne Geschehnisse des vergangenen Tages, aber allmählich und gewissermaßen unvermeidlich konzentrierten sie sich auf einen Punkt. Alle aus der Familie hatten etwas vom Feuer und vom Stein, Leidenschaft und Unnachgiebigkeit kennzeichneten ihre Charaktere. Die Trzynieckis aus Kielce waren bekannt durch ihre Habgier, Onkel Anzelm war es durch seinen ewigen Groll, die Großtante durch eine mit der Zeit gemilderte Liebestollheit; diese fatale Kraft war in den einzelnen Exemplaren unterschiedlich lokalisiert: Stefans Vater machte den Erfinder und tat alles andere mit Widerwillen, er hielt sich die Außenwelt wie Fliegen vom Leibe, verlor zuweilen das Zeitgefühl, erlebte den Donnerstag zweimal und merkte dann, daß er den Mittwoch vergessen hatte; doch dies war keine Zerstreutheit im üblichen Sinne, sondern im Gegenteil eine übermäßige Konzentration auf die Idee, die ihn eben gefangenhielt. Wenn er nicht gerade schlief oder krank war, konnte man Gift darauf nehmen, daß er in seiner Miniaturwerkstatt auf dem Dachboden zwischen Gas- und Spiritusflammen saß, umwallt von Säuredämpfen und Metallgeruch, und mit Messen, Schleifen oder Schweißen beschäftigt war; alle diese Tätigkeiten, die den Prozeß des Erfindens ausmachten, nahmen nie ein Ende, obwohl die Objekte, auf die der Vater seinen erfinderischen Geist verwandte, wechselten. Er wankte von einem Mißerfolg zum anderen mit gleich zuversichtlichem Glauben und mit einer solchen Leidenschaft, daß Fremde den Eindruck gewinnen mußten, er sei verbohrt oder gar hirnverbrannt. Stefan
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