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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus
Autoren: Roger Willemsen
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mehr oft hierher. Lieber verfolgen sie die Sitzungen in ihren Redaktionen auf dem Bundestagskanal, auf »Phoenix« oder in eigenen Schaltungen. Der Besuch des Parlaments »lohne sich nicht«, sagen sie oft, und für die tagesaktuelle Arbeit mag dies zutreffen.
    Kein Wunder also, wenn die Pressetribünen oft mit Touristen aufgefüllt werden. Dann bleiben nur die ersten Reihen frei für die Fotografen. Die stürzen gern von hinten an die Rampe, um das Gesicht des Tages festzuhalten, dann noch eine Sequenz auf dem Kameradisplay durchlaufen zu lassen, und manchmal kann man das Resultat schon Minuten später bei einem der Online-Magazine finden. Es kommt sogar vor, dass Fotografen die Abgeordneten von oben bitten, mal eben … dann drehen die sich da unten ein und sehen eine Pose lang attraktiv parlamentarisch aus.

Mittwoch, 16 . Januar, 11  Uhr
    Der Gong füllt den Raum. Alle erheben sich. Bundestagspräsident Norbert Lammert, federnd und alert, die Personifizierung der Ehre des Hohen Hauses, nimmt auf seinem Sessel Platz. Parteiübergreifend geachtet, interpretiert Lammert seine Rolle auch als Hüter des parlamentarischen Gedankens, interessiert gleichermaßen an der Intaktheit der Institution, der Lebendigkeit der Debatte, der Würde, wo sie gefordert ist, und einer Verankerung im Gegenwärtigen, die er anspielungsreich und nicht ohne Humor beschreibt: »Die Sitzung ist eröffnet. (…) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich zur ersten Plenarsitzung des Deutschen Bundestages in diesem Jahr, verbunden noch einmal mit allen guten Wünschen für Sie persönlich und für unsere gemeinsame Arbeit.«
    Der erste parlamentarische Akt des Jahres ist der Nachruf auf Peter Struck, zu dem sich alle erheben. Struck war kurz vor Weihnachten, Tage vor seinem siebzigsten Geburtstag, plötzlich verstorben. Am häufigsten wird er in den nächsten Monaten mit dem nach ihm benannten »Gesetz« zitiert: »Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingekommen ist.« Ehre und Mühsal der Legislative in einem Satz. Lammert bemerkt auch, »die meisten« hätten Struck »als einen feinen Kerl und einen verlässlichen Kollegen kennengelernt«.
    Ich erinnere mich an seine trockene Art, seinen Haudegencharme, aber auch an die bizarre Behauptung, »die deutsche Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt«, worüber ich vor nicht langer Zeit mit ihm in einer »Oxford Debate« öffentlich stritt. Damals schöpfte er seine Redezeit nicht aus, bot das Repertoire pragmatischer Argumente auf, mit denen der Krieg in Afghanistan als notwendig und als »Selbstverteidigung« der Deutschen deklariert worden war, und schob Einwände in den Bereich des »Gefühlskrams«. Das kam erschreckend sachlich daher, unangefochten von jedem Zweifel, und taugte letztlich zur Verteidigung jedes Kriegseinsatzes, wenn man ihn nur irgendwie auf eine »globale Bedrohung« beziehen konnte. Ich erinnere mich der Nikotinspuren im weißen Schnauzer, an Pfeife und Lederjacke und seine rumpelnde Diktion.
    Lammert sagt gerade: »Er war über viele Jahre eine der Stützen der Fußballmannschaft des Deutschen Bundestages, deren Bedeutung für das kollegiale Klima über die Fraktionen hinweg nicht zu unterschätzen ist.« Man bedauert lächelnd. Dann aber verrät der Redner in einem einzigen Satz, dass oft ein wenig Selbstbeschreibung in dem liegt, was man an anderen lobt: »Peter Struck«, sagt er, »hatte eine klare Vorstellung von der Ordnung der Staatsgewalt, und er wusste zwischen der Bedeutung von Ämtern und ihrer Prominenz in der öffentlichen Wahrnehmung zu unterscheiden.« Man erinnert sich des parlamentarischen Urgesteins, des Mannes, für den es nach eigenen Worten »das Größte« war, Mitglied des Deutschen Bundestags zu sein, und der nun rhetorisch mit dem Satz zu Grabe getragen wird, auf den dieses Politikerleben wohl immer zustrebte: »Peter Struck hat sich um unser Land große Verdienste erworben.« Da scheint es wieder auf, dieses Ideal der politischen Wirkung der Einzelperson, selbstlos und heroisch.
    Die parlamentarische Arbeit beginnt mit einer Aussprache über »Fünfzig Jahre Elysée-Vertrag«. Die Übung ist leicht, sie findet eine Woche vor der gemeinschaftlichen Sitzung des deutschen und des französischen Parlaments statt, und angesichts der einvernehmlichen Zufriedenheit über den Stand der Völkerfreundschaft darf man in der Aussprache nicht mehr erwarten als den ausdifferenzierten Konsens.
    Michael Link, Staatsminister
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