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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus
Autoren: Roger Willemsen
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schwenkt eine Eisenbahnerkelle. Nur der Wirtschafts- und der Finanzminister, sie haben nichts. Ein Außenminister kann sich wenigstens mit Afrikanern in bunten Hemden zeigen oder mit vorderasiatischen Glaubensführern im Kaftan. Ilse Aigner also wird in den nächsten Tagen wieder speisen und zechen müssen, und ihre Vorvorgängerin im Amt sieht man nun die lächelnde Esserin attackieren mit Hinweisen auf Dioxin-Eier, Antibiotika im Geflügelfleisch, Keime im Schweinemett.
    Das muss ein Ritual sein, denn seit Künast 2005 aus dem Ministeramt schied, sind mit Horst Seehofer und Ilse Aigner acht Jahre CSU über den Verbraucherschutz gekommen und viele Papiere. Im letzten Jahr war es eine »Charta für die Landwirtschaft«, die weder die Lebensmittelskandale der jüngeren Zeit verhindern noch die Kontrollen wirksamer machen noch den Ausbau der Bio-Landwirtschaft stärken konnte. Stattdessen, so Künast, seien CDU und CSU »Erfüllungsgehilfen der Agrarindustrie, der Großmastanlagen und der Megaschlachthöfe«. Selbst für die Mitfinanzierung weißrussischer und ukrainischer »Hühnerknäste« seien sie verantwortlich, also für die Stärkung der ausländischen Konkurrenz mit deutschem Steuergeld. Man könnte dies angesichts der Fließeigenschaften internationaler Finanzströme als einen Teil der Globalisierung ansehen, den CDU -Abgeordneten Norbert Schindler aber inspiriert es zu dem Zwischenruf: »Sie haben doch die Globalisierung vorbereitet!«
    So, wie sie da steht, klein, konzentriert und empört, traut man das Renate Künast gar nicht zu, und man erfährt auch nicht, wie sie es geschafft haben soll. Im Augenblick kommt sie gerade von den Keimen im Schweinemett über die Nitrat-Belastung niedersächsischer Böden zum Anbau von deutschem Tierfutter in Brasilien und Argentinien. Das macht Deutschland, sagt sie, »vor allen Dingen zum Nahrungsmittelkonkurrenten für arme Menschen, das heißt, wir produzieren Hunger in Brasilien und Argentinien. Das ist die Wahrheit!«
    »Das ist vollkommener Blödsinn!«, ruft Erik Schweickert ( FDP ), und Künast erwidert vom Pult: »Herr Schweickert ruft: ›vollkommener Blödsinn‹. Herr Schindler winkt gleich ab. Ich weiß nicht, ob das Ihr Verständnis von Parlamentarismus ist.« Doch was bliebe vom Parlamentarismus, nähme man ihm den »Blödsinn« und das »Abwinken«? Ilse Aigner ( CSU ) steht schon am Rednerpult, als Volker Kauder ( CDU / CSU ) noch hineinruft: »Die miefige Politik der Grünen! Mief! Mief! Mief!« Doch die Ministerin versucht sich auf deeskalierende Weise staatsfraulich und stellt fest: »Wir regieren aber nicht nach dem Bauchgefühl.« Da braucht Renate Künast nicht lange nachzudenken und ruft: »Ich habe gar keinen Bauch!« Nein, der Parlamentarismus nimmt hier so wenig Schaden wie der Bauch. Er war schon immer so.
    Aber dass man vom Menschen manchmal mehr sieht, als dem Abgeordneten lieb sein kann, stimmt auch. Dann erscheint hinter dem debattierten Anliegen die Höherrangigkeit des parlamentarischen Rituals und hinter dem Ritual der um sich selbst kämpfende Mensch am Rande seiner Geistesgegenwart. So versteigt sich Matthias Miersch ( SPD ) schließlich selbst zu dem Aphorismus: »Als Sozialdemokratie sagen wir, dass Ernährung ein elementarer Bestandteil der Daseinsvorsorge ist.« Wenn man es als Müttergenesungswerk sagte, wäre es genauso unsinnig, ist doch das Essen zunächst einmal »Daseinserhaltung«. »Vorsorge« ist es auch ohne SPD nur in dem Sinn, in dem selbst CDU -Abgeordnete sterben, wenn sie nicht essen.
    Es gehören zum Parlament aber auch seine Selbstheilungskräfte, und so sind unter den Abgeordneten die Berufsstände der Lehrer, Juristen und Verwaltungsbeamten zwar dominierend – und insofern repräsentiert das Plenum die Vielfalt des Volkes nicht –, doch glücklicherweise gibt es auch jene, die nicht nur wissen, dass Deutschland der größte Schweinefleischproduzent in der EU ist und im Jahr 2011 ganze 2 , 3  Millionen Tonnen exportiert hat, gibt es nicht nur Abgeordnete, die über »Agrarstrukturwandel«, »Tierhaltungssysteme«, »Nutztierhaltungsverordnungen«, »keimabweisende Baumaterialien«, »Lichtmanipulationen« in Hühnerställen akademisch Auskunft geben können, und nicht nur solche Abgeordnete, die sich auf der Internetseite des Bauernverbandes Schleswig-Holstein alle zwanzig Sekunden ein neues Webcam-Bild aus dem Schweinestall ansehen und über den »reibungslosen Mastverlauf« referieren. Nein, es gibt auch
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