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Das Hiroshima-Tor

Titel: Das Hiroshima-Tor
Autoren: dtv
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Timo ging zu einer Steinplatte am äußersten Rand. Sie hoben sie auf dieselbe Art wie die beiden anderen an.
     Auch dort stießen sie wieder auf eine zweite Steinfläche unter dem eigentlichen Fußboden.
    Heli wollte den Stein wieder zurückfallen lassen, da rief Timo:
    »Warte!«, packte den Stein und schob ihn ganz zur Seite.
    »Was ist?«, fragte Mattila.
    »Einer der unteren Steine hat sich bewegt.«
    Timo bückte sich vor dem zwanzig Zentimeter tiefen Loch und prüfte den Stein, der locker zu sein schien. Er nahm Mattilas
     Werkzeug, schob es in einen Spalt und hievte den Stein hoch. Heli half ihm so gut sie konnte.
    »Hier ist etwas«, sagte Timo mehr zu sich selbst als zu den anderen. Sein Herz fing an zu hämmern. Sie hebelten die untere
     Steinplatte von der Stelle.
    Darunter kam ein grauer Plastikkasten zum Vorschein, auf dessen Seite ein Autoreifen mit Schneeketten abgebildet war.
    Verblüfft hob Timo den schweren Kasten heraus. Er öffnete den einfachen, billigen Verschluss und hob den Deckel an. Er gab
     den Blick auf eine zusammengefaltete Plastiktüte mit dem Aufdruck des Tax-Free-Shops vom Genfer Flughafen frei.
    Timo schob die Hand in die Tüte und zog ein dickes braunes Kuvert und eine zweite Tüte heraus, die den Kasten so schwer gemacht
     hatte. Dem Aufdruck zufolge stammte die Tüte aus einem Marburger Geschäft.
    Marburg. Der Latimeria-Kongress, von dem Zeromski gesprochen hatte. An diesem Kongress hatte Isama Nishikawa teilgenommen.
    Timo machte die Tüte auf. Sie enthielt dicke, mit Gummiband zusammengehaltene Stöße Papier. Es war breites Endlospapier, gefaltete
     Ausdrucke eines Matrixdruckers.
    |419| Larva hatte inzwischen das Kuvert geöffnet und ihm einige Dokumente entnommen. Timo riss sie ihr aus der Hand.
    Zuoberst lag ein Blatt, das offenbar aus einem Buch herausgerissen worden war: eine Seite aus einem Gedichtband. Darunter
     war ein Brief in englischer Sprache, auf dem ganz oben mit großen, klaren Buchstaben und Ziffern Datum und Uhrzeit standen:
     
    8.   3.   1989, 21.20
     
    Timos Blick verweilte auf der Unterschrift am Briefende: Yoshima Nishikawa. Larva trat neben ihn, und sie begannen gleichzeitig,
     die von Hand geschriebenen Zeilen zu lesen:
     
    Heute Mittag brachten wir eine Versuchsreihe mit dem CER N-Teilchenbeschleuniger zu Ende – mit unerwarteten Folgen. Anbei die Messergebnisse und die Versuchsanordnung, die nach meiner festen Überzeugung
     wiederholbar ist.
    In meinem Wagen sitzen drei meiner Kollegen, die einzigen Menschen, die von dem Experiment wissen: Keniro Funaki, Toshiko
     Ito, Eizo Kinoshita. Sie sind alle großartige und kompetente Forscher. Ich verstehe ihren Wunsch, unser Experiment zu wiederholen
     und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Als Wissenschaftler möchte ich das selbst gerne tun. Aber als Mensch kann ich dem unter
     keinen Umständen zustimmen.
    Obwohl uns eine historische Entdeckung gelungen ist, darf die wissenschaftliche Revolution, die sie bedeutet, nicht für ihre
     möglichen Folgen blind machen.
    Sobald wir über die Resultate Klarheit hatten, bat ich meine Forschungsgruppe zu mir, um alles zu besprechen. Wir fuhren vom
     CERN nach Vevey. Ich teilte den anderen meinen Standpunkt mit: Wir müssen auf die Veröffentlichung verzichten. Die Diskussion
     war heftig, und ich merkte, es bestand keine Aussicht darauf, dass mein Team die Sachlage in der von mir erhofften Weise sah.
    |420|
Ich war erschöpft und verzweifelt. Viele Staaten würden unsere Entdeckung für militärische Zwecke nutzen. Sie würden das Hiroshima-Tor
     öffnen, ich aber kämpfe darum, es geschlossen zu halten.
    Allein schaffe ich es nicht. Ich habe meinen Sohn, der sich in Marburg bei einem Latimeria-Kongress aufhält, zu mir gebeten.
     Ohne meinem Team etwas davon zu sagen, werde ich ihm in wenigen Augenblicken diesen Brief und das Forschungsmaterial aushändigen.
    Isama ist erfinderisch. Ich werde ihn bitten, das Material an einem Ort zu verstecken, wo niemand es zufällig findet. Vielleicht
     wird irgendwann, in ferner Zukunft, die Evolution den Menschen vom Trieb zu töten befreit haben, und man wird unsere Entdeckung
     ausschließlich für friedliche Zwecke nutzen.
    Nachdem ich Isama das Material übergeben habe, werde ich mit meiner Gruppe weiterfahren und das tun, was ich als verantwortungsbewusster
     Wissenschaftler und anständiger Mensch tun muss.
    Jetzt kommt Isama. Ich muss aufhören.
     
    Timo las die letzten Sätze noch einmal und schluckte.
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