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Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen

Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen

Titel: Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen
Autoren: Claus Hipp
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und ohne höfliche Absage, nicht nachzukommen.
    Höflichkeit muss allerdings nicht immer nur anerzogen sein. Sie kann ihre Begründung auch in einer Art natürlicher Herzensbildung finden. Ich habe zum Beispiel einen Freund, der im Elternhaus keine übertriebenen Umgangsformen gelernt hat, aber er macht all diese Dinge von Natur aus fast immer richtig – denn er hat Taktgefühl. Dieser Freund fragt sich stets, wie er seinen Mitmenschen eine Freude bereiten und wie er nett sein kann, ohne sich anzubiedern oder aufdringlich zu sein.
    Genau darin liegt der tiefere Sinn der Höflichkeit. Es geht nicht um das mechanische Befolgen eines komplizierten Regelwerks, das sich gegen die Menschen richtet, sondern darum, dass wir den Mitmenschen wahrnehmen und harmonisch miteinander auskommen, ohne uns selbst aufzugeben. Höflichkeit ermöglicht uns, in allen Situationen das Gesicht zu wahren. Sie wirkt zivilisatorisch, sie schafft eine freundliche Atmosphäre, durch sie werden Konflikte vermieden oder verringert.
    Unhöflich ist es beispielsweise, wenn jemand die natürliche „Bannmeile“ seiner Mitmenschen unterläuft. Wenn mir jemand zu nahe rückt, bekomme ich schlechte Laune und fühle mich bedrängt. Also gehe ich entweder rückwärts oder reagiere aggressiv. Wie viel besser wäre es doch, dieser jemand hielte von sich aus den gebührenden Abstand? Oder umgekehrt, wenn ich jemanden mit einer dummen Frage belästige, fühlt dieser sichzu Recht angegriffen und verletzt. Wieso kann ich mich nicht zügeln? So haben kleine Ursachen oft große Wirkungen, und eine unbedachte Unhöflichkeit oder Laune kann Beziehungen und damit ganze Projekte nachhaltig stören. Das Nichtbeachten der einfachsten Umgangsformen behindert letztlich sogar das Fortkommen unserer Ideen.
    Dagegen ist es zum Beispiel eine schöne Tradition, dass ich in der Oper, im Theater oder im Kino, wenn ich durch eine schon gut gefüllte Reihe gehen muss, um meinen Platz zu erreichen, den Menschen, an denen ich mich vorbeizwänge, mein Gesicht zukehre und nicht das Hinterteil. Das ist höflich und drückt meinen Respekt aus. In jeder Situation hilft zudem der gesunde Menschenverstand, um nicht unfreiwillig rücksichtslos oder unhöflich zu sein. Wenn ich weiß, dass ich in der Mitte einer Reihe sitze, gehe ich doch am besten schon ein bisschen früher an meinen Platz und nicht auf den letzten Drücker, um nicht im wahrsten Sinne des Wortes einen Aufstand zu erzeugen.
    Genauso sollte ich mich bei einem Konferenztermin besser nicht so prominent fühlen, dass alle auf mich warten müssen, bis ich selbst dann endlich als Letzter erscheine. Das alles sind Gesten der Rücksichtnahme. Ein Sinn für solche Traditionen der Höflichkeit hilft im Leben ungemein. Natürlich gibt es auch auf dem Felde der Höflichkeit Rituale, die krampfhaft am Leben erhalten werden, künstlich aufgesetzt wirken und nicht mehr wirklich notwendig erscheinen. Denken wir nur an die alten Verbeugungen oder Knickse, die heutzutage nur noch gültig sind, wenn wir an einen Hof geladen sind. Oder denken wir an die antiquierten und uns heute skurril erscheinenden Umgangsformen in manchen Studentenverbindungen. Dass der Mann traditionell links von der Dame geht, gilt heute auch nur noch beschränkt. Diese Tradition hat aber, wie so viele, einen praktischen Hintergrund: Der Mann trug früher einen Degen auf der linken Seite. So hätte die Dame blaue Flecken bekommen, wäre sie auf dieser Seite gegangen. Und sie konnte Schutz finden, falls der Mann sie mit der rechten Hand hätte verteidigen müssen. Diese Sitte wird sehr wahrscheinlich innaher Zukunft vollkommen in Vergessenheit geraten sein und nicht mehr zum Kanon der Höflichkeit gehören, da sie ihren Inhalt verloren hat.
    Einzelne Konventionen der Höflichkeit werden sich jedoch immer wieder ändern, sie gehen mit der Zeit, um den ewig gleichen und zeitlos aktuellen Zweck zu erfüllen, respektvoll miteinander umzugehen. Das spanische Hofzeremoniell, das im kaiserlichen Wien noch gegolten hat, ist an den heutigen Höfen schon abgerüstet worden. Neue Gebote kommen jedoch immer wieder hinzu: So konnte es ein Mobiltelefon-Verbot beim Essen früher aus verständlichen Gründen nicht geben. Heute ist es meines Erachtens unverzichtbar geboten, wenn ich dem Essen und meinen Tischnachbarn die nötige Wertschätzung entgegenbringen möchte.
    Als wir Kinder waren, hat ein Chauffeur unsere Familie manchmal in die Stadt gefahren. Dieser Mann kam aus dem
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