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Das Hexen-Amulett (German Edition)

Das Hexen-Amulett (German Edition)

Titel: Das Hexen-Amulett (German Edition)
Autoren: Susannah Kells
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sie hatte ein Geheimnis, an dem sie unablässig festhielt. Es war wie ein Traum, der sie auch tagsüber begleitete, und in diesem Traum sah sie sich als eine körperlose Seele, die ihr Dasein auf Werlatton von außen betrachtete. Sie lächelte bei dem Gedanken, dass diese körperlose Seele den Namen Campion trug und Dorcas dabei zusah, wie sie versuchte, gehorsam zu sein. Sie ahnte, dass sie nicht hierhergehörte. Erklären konnte sie dieses Gefühl ebenso wenig wie Toby Lazender zu erklären vermochte, warum die kalten Finger die Druckwellen eines Fisches im Wasser spüren konnten. Dennoch, die Ahnung von ihrer Andersartigkeit verlieh ihr die Kraft, der grimmigen Herrschaft Matthew Slythes zu widerstehen. Sie schöpfte Hoffnung aus ihrem Glauben an die Liebe und glaubte fest daran, dass es jenseits der hohen, dunklen Eibenhecke Freundlichkeit und Herzensgüte geben musste. Eines Tages, so wusste sie, würde sie in die Welt hinausgehen, deren Treiben ihr Vater so sehr fürchtete.
    «Miss?» Charity duckte sich, um der flatternden Motte auszuweichen.
    «Ich weiß, Charity. Du ekelst dich vor Motten.» Campion lächelte. Ihr Rücken schmerzte, als sie sich nach vorn beugte und ihre hohlen Hände um die Motte schloss. Sie spürte ihre Flügel auf der Haut kitzeln, trat ans Fenster und entließ das Insekt in die Freiheit der Nacht, durch die Eule und die Fledermäuse jagten.
    Sie schloss das Fenster und ging neben ihrem Bett auf die Knie. Pflichtschuldig betete sie für ihren Vater, für Ebenezer, für Goodwife Baggerlie, die Dienstboten und – mit einem Lächeln im Gesicht – für Toby. Er hatte ihre Träume befeuert. So widersinnig und hoffnungslos es auch sein mochte – sie war verliebt.

    Drei Wochen später, als das Getreide die Farbe von Campions Haaren annahm und die Ernte so gut zu werden versprach wie schon seit Jahren nicht mehr, kam ein Gast nach Werlatton Hall.
    Gäste gab es nur wenige. Manchmal wurde einem reisenden Prediger, der mit Hass über den König sprach und allen Bischöfen den Tod wünschte, Obdach geboten, doch Matthew Slythe war kein geselliger Mann.
    Der Gast hieß Samuel Scammell, Bruder Samuel Scammell, ein Puritaner aus London. Charity war ganz außer sich vor Freude über den Besuch. Sie kam zu Dorcas ins Schlafzimmer, als die Sonne über dem Tal unterging, und sagte erregt: «Goodwife Baggerlie will, dass Ihr Euer bestes Sonntagskleid tragt, Miss. Und, stellt Euch vor, im Wohnraum sind die Teppiche ausgerollt worden.»
    Charitys Erregung amüsierte Campion. «Die Teppiche?»
    «Ja, Miss, und Euer Vater lässt drei Hühner schlachten. Tobias hat sie schon aus dem Stall geholt. Es wird Fleischpasteten geben.» Charity half Campion beim Anziehen und richtete ihr den weißen Leinenkragen. «Ihr seht phantastisch aus, Miss.»
    «Wirklich?»
    «Diesen Kragen hat schon Eure Mutter getragen. Und doch ist er immer noch wie neu.» Charity zupfte an den Spitzen. «An Euch sieht er viel größer aus.»
    Martha Slythe war eine große, beleibte Frau gewesen, deren laute Stimme mit der von Goodwife Baggerlie um die Vorherrschaft über den Schmutz von Werlatton Hall gewetteifert hatte. Campion lüftete den Rand des Kragens. «Wäre es nicht schön, nur ein einziges Mal etwas Hübsches zu tragen? Erinnerst du dich an die Frau vor zwei Jahren in der Kirche, die von Pfarrer Hervey ausgeschimpft wurde, weil sie sich angeblich wie eine Dirne kleidete?» Die Frau hatte einen feinen, zarten Spitzenkragen getragen.
    Charity runzelte die Stirn. «Miss! Das ist ein unanständiger Wunsch.»
    Campion seufzte im Stillen. «Tut mir leid, Charity. Ich habe gesprochen, ohne nachzudenken.»
    «Gott wird Euch verzeihen, Miss.»
    «Darum bete ich», log Campion. Sie hatte gelernt, dass dem Zorn Gottes am besten durch Lippenbekenntnisse auszuweichen war. Wenn Charity Goodwife Baggerlie von Campions Wunsch nach einem Spitzenkragen berichten würde, hätte Campion eine empfindliche Strafe von ihrem Vater zu erwarten. Um solchen Strafen vorzubeugen, hatte sie zu lügen gelernt. «Ich wäre jetzt so weit.»
    Matthew Slythe, seine beiden Kinder und der Gast saßen im hinteren Teil des großen Wohnraums zu Tisch. Die Läden vor den hohen Fenstern waren geöffnet. Es dämmerte, und die weite Rasenfläche lag bereits im Schatten.
    Campion schätzte Samuel Scammell auf Mitte dreißig. Seine rundliche Gestalt ließ darauf schließen, dass er gern und maßlos aß. Sein Gesicht wirkte zwar ebenso groß und schwer wie das ihres
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