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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend
Autoren: Thommie Bayer
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Flugzeug zu besteigen, in dem sie zwölf Stunden sitzen würde, war es, als stiege sie in den Bus nach einer Stadt, die man notfalls und mit gutem Willen auch mit dem Fahrrad erreichen konnte.
    Als er vom Bahnhof nach Hause ging, fiel ihm zum ersten Mal der geputzte und geschliffene Charakter der Stadt auf. Vielleicht schaute er mit Lauras Augen. Sie würde nichts mehr wiedererkennen. Die Stadt sah aus wie ihre eigene Kopie. Alles restauriert, neu gemalt, neu verputzt, das Fachwerk farblich abgesetzt und jede Fassadenmalerei in grellen, frischen Farben. Wieso lebe ich hier? fragte er sich, aber dann gleich hinterher: Wieso denn nicht? Er war immer hier gewesen. Das, was er tat, konnte er überall tun. Weiße Blätter besiegen, sie vollschreiben; vom Leben der anderen abschreiben, vom eigenen Leben auch, das konnte man überall.

DREIUNDFÜNFZIG
    Plötzlich waren alle Menschen schön. Jedenfalls alle, auf die es ankam. Plötzlich hatten alle Restaurants mindestens einen Stern, jedenfalls alle, in die man ging; hatte jeder einen Jaguar oder Porsche oder BMW oder Daimler, wenn er nicht gerade Asylant oder arbeitslos oder Aussteiger oder sonstwas mit A war. A wie Abfall oder Arsch.
     
    Bo war wieder weggezogen, nach Marbach am Neckar. Als er nach einigen Wochen die zurückgelassene Reihe Reclamhefte abholte, erzählte er von einer Freundin, mit der er zusammenwohne und die er heiraten werde. Die einzige Schwierigkeit sei noch, daß er drei Priester für die Trauung brauche, und die habe er noch nicht gefunden. Einen katholischen, einen evangelischen und einen von der Christengemeinschaft, denn Vera sei Anthroposophin.
    »Drunter geht’s nicht?« fragte Giovanni.
    »Drunter geht’s nicht«, sagte Bo.
    Wieder allein in der Wohnung zu sein war schöner, als Giovanni erwartet hatte. Auch in der Stadt war er wieder wie ein Fremder, denn der Trickfilmer und seine Freundin waren fortgezogen, die Freundschaft mit dem Anwalt hatte Ilses Konkurs nicht überstanden, und einige aus der Clique waren wegen Karens Abreise auf Distanz gegangen. Das letzte Jahr über hatte Giovanni
    sich so sehr mit Bo begnügt, daß er selbst die restlichen Bindungen wieder lockerte. Und eine lockere Bindung hielt nicht lange in dieser Stadt. Hatte man sich dreimal gesehen und nur gegrüßt, dann war beim vierten Mal schon kein Gespräch mehr möglich. Das war Giovanni recht, denn er lebte seit Frankfurt mit Laura. Das dritte Zimmer war wieder ein Schlafzimmer und das Bett vor dem Schreibtisch ein Gästebett.
    Liebster Giovanni, hatte in ihrem ersten Brief gestanden, jetzt wissen wir doch immerhin, woran wir sind. Ich weiß, daß ich nur noch hier aufräumen muß und dann, so schnell wie möglich, nach Hause. Zu Dir. Das Aufräumen wird noch dauern, aber daß Du sagst, Du wirst warten, macht es für mich in Ordnung. Wirst Du warten? Das heißt jetzt nicht, daß Du hübschen Mädchen von der Wäsche bleiben mußt, es geht nur um den Platz. Nach allem, was in Deinem neuen Buch so steht, werden die Frauen hinter Dir her sein. Teil mir Deine Geheimnummer mit. In Liebe, Laura.
    Was hieß »aufräumen«? Wollte sie sich scheiden lassen? Sicher war es das. Sie mußte ja ihre Sachen aus der Ehe holen, ihr Geld oder was auch immer. Seltsam, das war alles so weit weg gewesen für ihn. Ehe, Geld, Besitz. Verheiratet waren immer die anderen, Geld reichte zum Leben und mußte immer wieder besorgt werden. Und Besitz? Besessen hatte er immer nur ein paar tausend Mark auf dem Konto, die Dinge in der Wohnung, Platten, Bücher, Bilder und den längst verschrotteten Mercedes. Jetzt, wenn das Erbe käme, würde er auch ein Besitzender sein. Obwohl, hunderttausend Mark, das reichte bei gleicher Sparsamkeit wie bisher für vier Jahre Lebensunterhalt. Das war noch nicht direkt Besitz.
    Andere hatten in seinem Alter ein Haus, zwei Autos, eine Frau, zwei Kinder und einen täglichen Weg zur Arbeit von zwei Stunden. In der Reihenfolge.
    Ihm fiel auf, wie sehr er neben dem Leben hergetrödelt war, begünstigt von ein paar Zufällen und etwas Talent.
    Es gefällt mir aber so, und da ich jetzt erwachsen bin, dachte er, werde ich eine Lebensversicherung abschließen. Auf Laura ausgestellt.
    Im Februar hatte Ilse angerufen. Aus Benidorm. Er klang nicht nach Selbstmord, sondern stolz. Es gehe ihm gut, er fühle sich wie ein Fisch im Wasser, die Leute würden ihn so nennen, weil er Schwimmlehrer sei in einem teuren Urlaubsclub. Er verdiene nicht viel Geld, aber da er nichts brauche,
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