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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter
Autoren: Jodi Picoult
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mit
dringenden Terminen, Ärzte, die zu Kongressen müssen - sie alle werden
entschuldigt. Übrig bleiben Rentner, Hausfrauen, Menschen mit körperlicher
Beeinträchtigung und Studenten wie ich, weil keiner von uns zu einer
bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein muss.
    Ted, unser Sprecher, war ein älterer
Mann, der mich an meinen Großvater erinnerte. Nicht vom Aussehen oder seiner
Sprechweise her, sondern weil er die Gabe hatte, das Beste aus uns
herauszuholen. Mein Großvater war auch so gewesen - bei ihm wuchs ich über mich
selbst hinaus, nicht weil er es verlangte, sondern weil es einfach das Größte
war, sein Grinsen zu sehen, wenn ich ihn beeindruckt hatte.
    Mein Großvater war der Grund, warum ich
für diesen Prozess als Geschworener ausgewählt worden war. Ich hatte zwar keine
persönliche Erfahrung mit Mord, aber ich wusste, wie es war, einen geliebten
Menschen zu verlieren. So etwas verwindet man nie, aber man steht es durch -
und allein aus diesem einfachen Grund konnte ich June Nealon besser verstehen,
als sie ahnte. Im vergangenen Winter, vier Jahre nach dem Tod meines Großvaters,
war in mein Zimmer im Studentenwohnheim eingebrochen worden; gestohlen wurden
mein Computer, mein Fahrrad und das einzige Foto, das ich hatte, auf dem mein
Großvater und ich zusammen zu sehen waren. Den Rahmen aus echtem Sterlingsilber
hatte der Dieb zwar zurückgelassen, aber der Verlust des Fotos schmerzte mich
tief.
    Ted wartete, bis Maureen ihren
Lippenstift nachgezogen hatte, bis Jack von der Toilette zurück war, bis wir
alle wieder so weit waren, uns als Gruppe der Aufgabe zu stellen. »So«, sagte
er und legte die Hände flach auf den Konferenztisch. »Dann wollen wir mal.«
    Aber wie sich herausstellte, war es um
einiges leichter zu sagen, dass jemand für das, was er getan hatte, den Tod
verdiente, als tatsächlich die Verantwortung für eine Hinrichtung zu übernehmen.
    »Ich sag es einfach mal frei heraus«,
seufzte Vy. »Ich hab wirklich keine Ahnung, was der Richter von uns will.«
    Vor Beginn der Zeugenaussagen hatte der
Richter uns fast eine Stunde lang belehrt. Ich hatte gedacht, wir würden das
Ganze auch noch schriftlich auf einem Informationsblatt bekommen, aber
Pustekuchen. »Ich kann es erklären«, sagte ich. »Das ist so ähnlich wie die
Speisekarte im Chinarestaurant, wo man sich sein Essen zusammenstellt. Es gibt
eine ganze Checkliste mit Punkten, die darüber entscheiden, ob eine Tat mit
dem Tod zu bestrafen ist. Die müssen wir für jeden der beiden Morde einzeln
durchgehen, und die Todesstrafe ist nur dann anwendbar, wenn mehrere Punkte
zusammenkommen.«
    »Ich konnte chinesisches Essen noch nie
ausstehen«, warf Mark ein.
    Ich stand vor der weißen Wandtafel und
nahm einen Filzstift. A, schrieb ich. ABSICHT/VORSATZ. »Ich schätze, die Frage
haben wir im Grunde schon dadurch abgehandelt, dass wir ihn des Mordes für
schuldig befunden haben.«
    B. »Jetzt wird es kniffliger. Auf dieser
Liste steht eine ganze Reihe von Punkten, die straf erschwerend wären.«
    Ich fing an, aus den ungeordneten Notizen
vorzulesen, die ich mir während der Belehrung durch den Richter gemacht hatte:
    Der Angeklagte wurde schon einmal wegen Mordes verurteilt. Der
Angeklagte wurde schon wegen zwei oder mehr anderer Straftaten zu einer
Haftstrafe von über einem Jahr verurteilt.
    Der Angeklagte wurde
wegen zwei oder mehr Straftaten im Zusammenhang mit Drogenhandel verurteilt.
Bei Verübung der Tat nahm der Angeklagte den Tod Unbeteiligter in Kauf.
    Der Angeklagte beging die Tat geplant und vorsätzlich.
    Das Opfer war wehrlos aufgrund von hohem Alter, Jugend, Krankheit.
    Der Angeklagte ging
bei der Ausübung der Tat besonders grausam oder skrupellos oder pervers vor,
indem er das Opfer quälte oder mißhandelte.
    Der Mord geschah in der Absicht, einer Verhaftung zu entgehen.
     
    Ted blickte auf die Tafel, während ich
alles aufschrieb, woran ich mich erinnern konnte. »Also, wenn wir zusätzlich zu
dem Punkt A einen oder mehrere unter B finden, müssen wir ihn dann zum Tode
verurteilen?«
    »Nein«, sagte ich. »Es gibt nämlich auch
noch eine Rubrik C.«
    STRAFMILDERNDE FAKTOREN, schrieb ich.
»Folgende Punkte wären strafmildernd.«
     
    Die Fähigkeit des
Angeklagten, seine Tat als falsch oder gesetzwidrig einzuschätzen, war beeinträchtigt.
Der Angeklagte handelte in einem psychischen Ausnahmezustand.
    Der Angeklagte war
Mittäter, nicht der eigentliche Täter. Der Angeklagte war jung, wenn auch
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