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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht
Autoren: Ulrike Schweikert
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worden.
    »Sie können mich jetzt loslassen«, sagte sie zu dem Fremden mit so viel Würde in der Stimme, wie sie in dieser Situation aufbringen konnte. Eine Fürstin war eine Fürstin, ganz gleich, ob sich ihre Frisur bei der wilden Fahrt gelöst hatte und ihr Haarsträhnen wild nach allen Seiten abstanden, ihre Wange ein blutiger Kratzer zierte, ihr Mantel von Schlammspritzern bedeckt war und ihr elegantes Kutschierkleid einen Riss aufwies. Therese bediente sich der ausdruckslosen Miene des hohen Adels, der es über Generationen geübt hatte, sich durch nichts aus der Fassung bringen zu lassen.
    Die kalte Hand, die sie wie eine Eisenklammer umschlossen hatte, löste sich. Der Fremde rückte ein Stück zur Seite – soweit es die Enge des Gefährts eben zuließ.
    »Ihr Diener, Durchlaucht. Sind Sie wohlauf?«, sagte er mit wohlklingender, tiefer Stimme, die eine sorgfältige Erziehung verriet. Ein Mann von Adel? Vielleicht. Jedenfalls ganz sicher kein Wildhüter oder einfacher nächtlicher Wanderer.
    »Ja, durchaus, dank Ihrer Hilfe«, gab sie zurück. »Ich kann zwar noch nicht begreifen, wie Ihnen dieses Meisterstück gelungen ist, jedenfalls haben Sie mir das Leben gerettet, und dafür danke ich Ihnen auf das Herzlichste.«
    Sie war froh, dass ihre Stimme so fest klang und ihre Hand nicht zitterte, als sie sie ihrem Retter reichte. Innerlich dagegen bebte sie in der Erkenntnis der Gefahr, in der sie gerade noch geschwebt hatte.
    Er wirkte völlig ungerührt. Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Doch als er nun die Hand hob und mit dem Zeigefinger die Blutstropfen berührte, die aus dem Riss in ihrer Wange quollen, zitterte seine Hand. Rasch zog er sie zurück und reichte ihr stattdessen ein fein besticktes Taschentuch, mit dem sie sich über die Wange fuhr, die an der Stelle, an der er sie berührt hatte, noch kälter schien als der Rest ihres Gesichts. Mit der anderen hielt er noch immer die Hand fest, die sie ihm gereicht hatte, und hauchte nun einen Kuss auf das weiche Leder ihres ruinierten Handschuhs.
    »Ist es nicht jede Mühe wert, einer Dame in Nöten einen Dienst zu erweisen, Fürstin Kinsky?«
    »Sie kennen mich?«, wunderte sich Therese.
    »Das Zaumzeug der Pferde ziert Ihr Wappen.«
    Ein Teil in ihr fragte sich, wie er das in der Dunkelheit hatte erkennen können, doch sie vergaß es, weiter darüber nachzudenken, als sie erwiderte: »Dann sind Sie im Vorteil. Ich weiß bisher nicht, mit wem ich es zu tun habe.«
    »Mein Name ist András.«
    Sie hatte das Gefühl, dass er es dabei belassen wollte, doch als sie fragend die Brauen zusammenschob, fügte er nach einigem Zögern hinzu: »András Petru Báthory«.
    »Ein ungarischer Name?«, überlegte die Fürstin laut, doch der Mann an ihrer Seite ging nicht darauf ein. Stattdessen schlug er vor, in die Stadt zurückzufahren.
    Nachdem sich ihr Herzschlag beruhigt und die Wallungen des Blutes abgeflaut waren, spürte die Fürstin die Kälte durch Mantel und Kleid dringen. Daher stimmte sie seinem Vorschlag zu. Sie streckte die Hände fordernd aus, ihr Retter jedoch ignorierte sie und behielt die Zügel locker in der Linken. Noch immer standen die Pferde reglos da, als seien sie zu Eis erstarrt. Nur der Wind spielte in den langen, rötlichen Mähnen.
    Fürstin Kinsky räusperte sich vernehmlich. Auch dieses Signal überhörte der Mann an ihrer Seite. Sein Blick war auf die Tiere gerichtet. Therese schwankte zwischen Ärger und Neugier. Wollte er ihr nun demonstrieren, wie er mit einem Viererzug zurechtkam? Gut, sollte er sein Glück bei ihren jungen Füchsen versuchen, mit denen man noch viel arbeiten würde müssen, bis sie zu einem dieser harmonischen Gespanne wurden, denen jeder Passant bewundernd auf der Straße nachsah. Dann sollte er einmal zeigen, was er konnte!
    »Nun gut, Herr Báthory, fahren wir zurück, und sehen wir, was aus meinem armen Groom geworden ist.«
    Sie sah genau auf seine Hände. Noch immer lagen die Zügelpaare schlaff in seinen Fingern. Eine Peitsche hatten sie nicht mehr. Therese konnte kaum erahnen, dass er die Lippen bewegte. Ein weicher, dunkler Ton, und die Pferde zogen an. Ruhig und gleichmäßig, nicht so wild und unrhythmisch, wie sie es unter ihrer Hand getan hatten. Wieder ein Ton, ein wenig höher als zuvor, und sie fielen in Trab. So fuhr er den Wagen die Allee zwischen den kahlen Kastanienbäumen entlang, saß entspannt neben ihr, die Zügel locker in seinem Schoß, die Pferde scheinbar nur mit seinem Blick und ein
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