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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus
Autoren: Kai Meyer
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Pascale und der blutende Dorian waren auf der anderen Seite, drückten es mit letzter Kraft zu!
    »Pascale!« brüllte er so laut er konnte. Es war nur ein Krächzen.
    »Dorian … Wartet!«
    Sie stürzten durch das Tor. Jupiters Schulter streifte den Stein, der Stoff zerriß. Coralina stolperte, fiel hin, er flog über sie hinweg, schreiend vor Schmerz.
    Das Brüllen … und mit ihm die Gewißheit, daß da etwas war, herantobte, eine Form, halb Mensch, halb …
    Das Tor fiel zu.
    Coralina sprang auf, warf sich mit der Schulter gegen den Stein, keuchte vor Schmerz.
    Und zog den Schlüssel ab.
    Ein Donnern war zu hören, als von der anderen Seite etwas gegen das Tor rammte. Die unterirdische Kammer erbebte in ihren Grundfesten, es regnete Gesteinssplitter und Staub auf sie herab. Doch das Tor hielt stand. Dumpfes Brüllen kündete vom haltlosen Zorn ihres Verfolgers, und die Mauern erzitterten ein zweites Mal. Vergeblich.
    Noch einmal das Brüllen … dann Stille.
    Jupiter nahm die Umwelt nur noch wie durch einen Schleier wahr, sah nichts außer Schemen, hörte aber die schwache Stimme des Abts, der Coralina bat, sich um Pascale zu kümmern.
    »Sie brauchen einen Arzt«, entgegnete sie atemlos.
    Dorian ging nicht darauf ein. »Gehen Sie nach oben. Zerschlagen Sie … den mittleren Schädel. Vielleicht reicht das … für ein paar … Generationen.«
    Ein Rascheln, dann: »Dorian?« Coralinas tränenerstickte Stimme.
    »Dorian, verdammt …!«
    Jupiter fühlte sich am Arm gepackt. »Ich bringe dich nach oben«, wisperte sie schwach an seinem Ohr. »Dorian ist tot.«
    »Und … Pascale?«
    »Hole ich danach.«
    »Ich will nicht, daß … daß du allein … noch mal runtergehst.«
    Sein Widerspruch war schwach und kraftlos, und er wußte, daß sie keine andere Wahl hatte, wenn sie den Mönch retten wollte.
    Irgendwann, nach weiterer Anstrengung, weiterem Schmerz, sah er die Lichtflut der Knochengruft, sah Wände aus Gebeinen und einen leblosen Körper in einer Blutlache … der Mönch, der sie und den Abt hereingelassen hatte. Trojan hatte auch ihn erschossen.
    Jupiter blieb auf dem Steinboden liegen, die Wange auf einer eiskalten Grabplatte. Mühsam rollte er sich auf die andere Seite und sah nach einer Weile Coralina, die sich mit Pascale im Arm durch den Spalt in der Rückwand zwängte, den Mönch neben ihn legte und dann das Rad im Boden drehte, stöhnend und weinend, bis die Wand wieder an ihrem Platz und der Geheimgang geschlossen war.
    Als sie sich zum Beinaltar umdrehte, hatte Jupiter sich schon dorthin geschleppt. Mit beiden Händen drehte er den mittleren Schädel, bis die Platte im Boden der Kapelle zuglitt und das stählerne Rad verbarg.
    Dann holte er mit aller ihm verbliebenen Kraft aus und schlug auf den steinernen Schädel, fühlte ihn zerbersten, schlug noch einmal, und dann noch einmal, schwächer, bis Coralina bei ihm war, mit kühler Hand über sein Gesicht strich und die Lippen an sein Ohr senkte.
    Flüsterte. Atmete.
    Flüsterte.

Epilog
    Aus dem Schatten der Kolonnaden traten sie auf den Petersplatz.
    Hunderte Touristen bevölkerten das weite Rondell, einzeln und in Menschentrauben, mit Fotoapparaten, Videokameras und zerlesenen Stadtführern. Reiseleiter winkten trotz des trockenen Wetters mit Regenschirmen, um die Mitglieder ihrer Gruppen zusammenzurufen. Ein Dutzend dunkelhäutiger Pilger in weiten Galabiyas kreuzte ihren Weg, ging zum Petersdom hinüber, wo Männer in schwarzen Anzügen, mit Sonnenbrillen und Funkgeräten die Besucher aufmerksam musterten, immer auf der Suche nach Attentätern.
    Jupiter hatte die Schönheit dieses Platzes schon bewundert, als er ihn nur von Bildern kannte. Bei seinem ersten Besuch in Rom … er wußte nicht mehr, vor wie vielen Jahren … hatte er es kaum erwarten können, hierherzukommen, die Menschenmassen zu beobachten, gefangen in einer Zeitblase, einer seltsamen Mischung aus Markttreiben und ehrfurchtsvollem Staunen.
    Zwischen den hohen Kolonnaden Berninis hatten sie sich geschützt gefühlt, trotz der Offenheit nach allen Seiten. Jetzt aber, während ihres Weges quer über die riesige Piazza, kehrte ein Anflug der alten Furcht zurück, das Gefühl, beobachtet zu werden. Selbst die maßlose Erschöpfung meldete sich zurück, ungeachtet der drei Tage, die seit ihrer Rückkehr aus der Tiefe vergangen waren, drei Tage, die sie mit viel Schlaf und noch mehr Gesprächen verbracht hatten.
    Reden, schlafen, reden, schlafen.
    Der hohe Obelisk in der Mitte des
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