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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus
Autoren: Kai Meyer
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Dinge unter Kontrolle hatte. »Wissen Sie, weshalb Daedalus dieses Bauwerk errichtete?«
    »Als Huldigung an die Götter, dachte ich.«
    »Für ihn war es ein Handel«, erklärte Trojan kopfschüttelnd.
    »Nachdem Ikarus verbrannt war, flehte Daedalus die Götter an, ihm seinen Sohn zurückzugeben. Er versprach, ihnen dafür den größten und prächtigsten aller Tempel zu bauen. In den Latinern fand er die nötigen Verbündeten, die ihm Material und Menschen zur Verfügung stellten. Daedalus hätte alles getan, damit Ikarus aus der Unterwelt zurückkehrte. Nach seiner Verbannung war nur noch sein Sohn wichtig für ihn … und doch war Ikarus durch seine Schuld ums Leben gekommen. Hätte Daedalus nicht die Schwingen gebaut, mit denen sie aus ihrem Gefängnis entkommen waren, wäre Ikarus nicht in der Sonne verglüht. Nur deshalb baute er diesen Tempel, und er trieb ihn so tief in die Erde hinein wie nur möglich, um seinem Sohn den Aufstieg aus der Unterwelt zu erleichtern.«
    Jupiter schaute sich über die Schulter zu Coralina um. Ihre Augen flehten ihn an, in Deckung zu gehen. Aber er hatte nicht vergessen, was sie dort unten gehört hatten, und er wurde das Bild von diesem Etwas nicht los, das sie die Stufen herauf verfolgte, schnaubend und brüllend und mit der Kraft einer Lokomotive. Sie mußten hier raus.
    Er machte einen Schritt auf Trojan zu, dann noch einen, bis er auf der obersten Stufe stand, genau unter dem Tor.
    »Hören Sie, Trojan, ich weiß nicht, was Sie vorhaben. Aber was immer es ist, Sie brauchen uns nicht dafür. Lassen Sie uns gehen.«
    Trojan setzte sich wieder in Bewegung, trat langsam und mit bebenden Gliedern in den Vorraum. Die Anstrengung lenkte ihn ab, er schaute auf seine Füße. Jupiter sah eine Chance. Er setzte an, um mit wenigen Sätzen auf den alten Mann zuzuschnellen, wollte ihn packen und .
    Trojan hob die Pistole und drückte ab.
    Ein schneidender Schmerz durchfuhr Jupiters rechten Oberschenkel. Sein Knie knickte ein, und plötzlich war seine Hose voller Blut.
    Hinter ihm schrie Coralina seinen Namen, sprang aus der Deckung, rannte zu ihm und zerrte ihn zurück, als zwei weitere Kugeln an ihnen vorbeizischten und in uraltes Mauerwerk schlugen. Staub und kleine Steinbrocken wirbelten durch die Luft.
    Jupiter brachte kein Wort heraus. Erst als Coralina ihn die Stufen hinabzerrte, vorbei an Pascale, hinter die Biegung der Treppenspindel, wurde ihm bewußt, daß Trojan ihn angeschossen hatte. Bis jetzt hatte der Schock den Schmerz gedämpft; nun aber brach er sich ungehindert Bahn.
    Trojan folgte ihnen die Treppe herunter. Der Kraftakt, den er sich dafür abverlangte, war enorm. Doch sein Geist war so auf das Haus des Daedalus fixiert, sein Wille so fest und unnachgiebig, daß er die ersten Stufen bewältigte, als mache es ihm kaum Mühe.
    »Zählen Sie nicht meine Schüsse«, sagte er. »Ich habe die Taschen voller Munition. Glauben Sie, ich hätte keine Vorbereitungen getroffen, um die Neugestaltung der Welt einzuläuten? Ich bin fast am Ziel, wissen Sie.«
    »Sie haben die Adepten nur ausgenutzt«, brüllte Coralina ihn an, während sie panisch von Jupiter zu dem reglosen Pascale hinübersah. Sie mußte weiter hinunter. Und sie konnte nur einen von beiden mitnehmen. »Leg deinen Arm um meine Schulter«, flüsterte sie Jupiter zu. »Ich stütze dich.«
    »Wir … können da nicht runter«, gab er mit heiserer Stimme zurück.
    »Trojan wird uns erschießen, wenn er uns einholt.«
    Aus der Tiefe ertönte abermals das grauenvolle Schnauben, und diesmal klang es eindeutig näher. Dennoch war es noch immer abstrakt im Vergleich zu dem, was ihnen von oben folgte: ein Wahnsinniger mit einer Waffe.
    »Ausgenutzt?« rief der Professor. »Wenn Sie so wollen, gewiß. Estacado geht es nur darum, die beiden Tore zu bewachen. Nicht im Traum denkt er daran, eines davon zu öffnen. Aber ich will dabeisein, wenn der Geist des Daedalus die Stadt zu etwas Neuem formt, zu etwas Besserem, Großartigem! Die Stadt und die ganze Welt!«
    Während Jupiter sich, auf Coralina gestützt, die Wendeltreppe hinabbewegte, tastete er mit seiner freien Hand nach der Verletzung, fühlte Blut an seinem Bein. Ein Durchschuß.
    »Wenn wir einen größeren Vorsprung haben, verbinde ich die Wunde«, flüsterte Coralina. Sie horchte immer noch angespannt in alle Richtungen. Es beruhigte sie ein wenig, daß kein weiterer Schuß gefallen war; offenbar hielt Trojan Pascale für tot.
    Mit der linken Hand hielt Coralina
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