Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Erinnerung daran würde aus der Ablage Realität in die Ablage Traum verschoben, und … irgendwann … würde er vielleicht ganz aufhören, darüber nachzudenken.
    Coralina schrak neben ihm zusammen, als das Brüllen zum dritten Mal ertönte. Es wurde von der Decke zurückgeworfen und hallte verzerrt durch die Dunkelheit. Unmöglich zu sagen, ob es näher geklungen hatte als bei den beiden vorangegangenen Malen.
    Hinter der nächsten Biegung der Wendeltreppe mußte das Tor liegen. Gleich würden sie es sehen.
    Ein Schuß peitschte. Jemand schrie auf. Dann ein zweiter Schuß. Das Schreien brach ab.
    Jupiter und Coralina blieben schlagartig stehen. Zu erschöpft zum Sprechen, konnten sie einander nur anstarren, atemlos, gehetzt und nahe daran zusammenzubrechen.
    Jupiter lehnte sich mit dem Rücken gegen die Treppenspindel. Pascale drohte aus seinen Armen zu rutschen. Coralina bekam den reglosen Körper des Mönches gerade noch zu fassen und ließ ihn einigermaßen sanft auf die Stufen gleiten.
    »Sind sie das?« brachte Jupiter mit schwacher Stimme hervor.
    »Ich seh nach«, wisperte Coralina.
    »Nein.« Er hielt sie kraftlos zurück und löste sich von dem Stein in seinem Rücken. Schwankend stand er da und versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Er sah Coralina an. »Laß mich das machen.«
    »Gehen wir zusammen«, erwiderte sie gequält.
    Jupiter nickte schwerfällig. Sie ließen Pascale auf den Stufen zurück und schoben sich vorsichtig um die letzte Treppenbiegung.
    Das Tor stand offen.
    Dahinter, auf dem Boden des Vorraums, lag Dorian in einer Blutlache. Der Atem des Abts rasselte wie etwas Mechanisches, erschreckend Unmenschliches. Blut und Speichel troffen aus seinem Mundwinkel.
    Auf der schmalen Treppe, die hinauf zur Knochengruft führte, stand ein Mann, lehnte krumm an der Wand und hielt zitternd eine Pistole in der Hand. Um seinen Hals hing an einem Band eine flache Lampe. Er hatte sichtlich Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
    »Sie können rauskommen«, rief Domovoi Trojan ihnen zu. Seine Stimme klang krächzend, so als sei er es gewesen, der den Aufstieg aus dem Haus des Daedalus bewältigt hatte, nicht sie. Der Kraftakt, sich auf eigenen Beinen zu halten, hatte ihn ausgelaugt. Er hatte heftiges Nasenbluten. Dennoch blitzte der Hauch eines Triumphs über seine Züge. »Ich habe Sie gehört«, setzte er hinzu. »Sie beide.«
    Jupiter gab sich einen Ruck und trat aus der Deckung. Coralina wollte ihn zurückhalten, ihn hinter die Biegung der Steinspindel ziehen, aber er schüttelte ihre Hand ab. Er war es endgültig leid, davonzulaufen. Trojan war nur ein alter Mann, der sich verbissen an eine Idee klammerte, an den letzten Strohhalm, um seine größenwahnsinnigen Pläne doch noch zu verwirklichen.
    »Die eingeschlagene Seitenscheibe«, sagte Jupiter leise und fixierte den Professor. Zwischen ihnen lagen rund zehn Meter. »Ich habe zu spät daran gedacht. Landini hat im Wagen einen Sender angebracht, nicht wahr? Und er hat mit Ihnen telefoniert, als er uns verfolgte.«
    »Der gute Landini«, murmelte Trojan kaum hörbar. »Ich habe Ihnen gesagt, daß er nichts ist als ein Handlanger. Und wie ein Handlanger ist er gestorben.«
    »Landini war von Thadens Sekretär, aber er war immer Ihr Lakai. Er hat Ihre Drecksarbeit erledigt, nicht die des Kardinals.«
    Trojan fuchtelte mit der Pistole. »Ich wußte, daß Sie das Tor öffnen, wenn Sie vom Tod der Zigeunerin erfahren würden. Neugier und Haß sind eine explosive Mischung, glauben Sie mir. Ich kenne das.«
    Jupiter war nicht sicher, wofür er Trojan mehr verabscheute: für das, was er der Shuvani angetan hatte, oder für den abfälligen Ton, in dem er über seine frühere Geliebte sprach. Die Gewichtungen verschoben sich, wurden mit einemmal irreal und nebensächlich.
    »Sie haben sie umbringen lassen«, sagte Jupiter. »Es geschah auf Ihre Anweisung, nicht auf die Estacados oder von Thadens.«
    »Und so fügen sich die Steinchen zu einem großen Mosaik zusammen«, erwiderte der Professor lakonisch und wischte sich Blut von der Nase. »So sollte es immer sein, wenn eine Sache zu Ende geht.«
    Jupiter nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie Coralina hinter ihrer Deckung erstarrte. Mit einem Wink gab er ihr zu verstehen, sich nicht von der Stelle zu rühren.
    »Sie sind uns ein paar Erklärungen schuldig, denken Sie nicht auch?«
    Trojan hielt seine Waffe weiterhin auf Jupiter gerichtet. Sein Zittern ließ ein wenig nach, vielleicht weil er spürte, daß er die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher