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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder
Autoren: Serena Mackesy
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zertrampelt und zertreten. Ein kleiner schiefer Schneemann, gut einen halben Meter hoch, mit Zweigen als Arme, starrt ihn mit Augen aus schwarzer Kohle blind an. Kieran hat sie vor seinem inneren Auge, wie sie herumtollen – alles andere um sich herum vergessen, und wie pulvriger weißer Schnee um ihre Füße aufstaubt. Sie lachen. Sorglos. Gedankenlos.
    Kieran beißt sich auf die Lippe. Kneift die Augen zusammen. Ja. Wie können sie ihn so einfach vergessen? Denen werde ich was husten, die werden sich an mich erinnern.
    Er trottet weiter, drückt im Vorbeigehen gegen jedes Fenster. Die sitzen nicht fest in ihren Rahmen, jedenfalls einige nicht. Allerdings diejenigen hoch oben.
    Sie hat mich unmöglich kommen sehen, aber jetzt weiß sie, dass ich hier bin.
    Er entdeckt noch eine weitere Tür, ganz am Ende, in einer Ecke, wo eine Trockensteinmauer zu einem Bereich führt, auf dem nur so wenig Schnee liegt, dass er davon ausgeht, dass es sich um Zement handelt. Es ist eine schmale, niedrige, einfache Holztür, und ihre Klinke ist so klein, dass sie besser an einen Schrank passen würde. Sie ist schwächer als die anderen, und ihre Fähigkeit, die Leute vom Eindringen abzuhalten, beruht in erster Linie auf der Hoffnung, dass sie gar nicht erst entdeckt wird.
    Er probiert es aufs Geratewohl. Der Griff dreht sich frei in seiner Fassung: Er ist nur mit ein paar Schrauben befestigt. Er ist nur da, damit man daran ziehen kann, nicht etwa, um die Tür geschlossen zu halten.
    Er blickt auf. Schmunzelt. Ein Sicherheitsschloss. Ein solch großes Herrenhaus wie dieses da, und die Besitzer verlassen sich auf ein läppisches Sicherheitsschloss.
    Er hebt das Bein. Tritt gegen die Tür. Sie wackelt in ihrem Rahmen, hält aber.
    »Scheiße«, sagt Kieran und beobachtet, wie sein Atem in der eisigen Luft als Dampfwolke aufsteigt. Verdammt, ist das kalt heute Abend. Die Luft kommt bestimmt aus Sibirien. So viel zur verdammten globalen …
    Dieses Mal gibt sie ein Stück nach. Nicht das Schloss, das hält. Nicht das Holz. Kieran lacht auf. Sie haben eine neue Tür eingesetzt, aber in den alten Rahmen. In verrottetes, verwittertes Holz, und die Angeln lösen sich schon nach ein paar Tritten.
    Ich bin drin, denkt er. Jetzt bin ich drin. Ich komme.
    Er tritt ein paar Schritte zurück, reibt sich die Hände, bläst hinein, um sie aufzuwärmen.
    Aus dem Augenwinkel sieht er, dass sich ganz in der Nähe etwas bewegt.
    Kierans Kopf fährt herum. Da steht ein Kind im Schnee.
    »Ha!«
    Sie hat sie herausgeschickt. Sie hat es gemacht wie in Shining, hat das Kind herausgeschickt, um sich zu retten. Hat sie einfach im Nachthemd ins Freie geschickt, verdammt.
    Sie geht entschlossen voran, den Kopf gesenkt, so dass ihr Gesicht im Mondschein nicht zu erkennen ist. Zielstrebig entfernt sie sich von ihm, seltsamerweise ungehindert durch den Schnee unter ihren Füßen.
    Sie ist gewachsen, denkt er. Und was ist bloß mit ihren Haaren passiert? Hat sie sie gefärbt oder was? Hat sie wirklich geglaubt, ich würde mich durch schlecht gefärbte Haare täuschen lassen?
    »Yasmin!«, ruft er.
    Das Kind bleibt nicht stehen. Blickt nicht auf. Ändert seine Richtung nicht. Es geht auf das kleine zweistöckige Gebäude da unten am Rand der ebenen Fläche zu. Entfernt sich weiter von ihm.
    »Yasmin, ich bin’s, Daddy«, ruft er. »Hab keine Angst.«
    Falls sie Angst hat, lässt sie sich das zumindest nicht anmerken.
    Warum schaust du mich nicht an?
    Er setzt sich in Bewegung, geht hinter ihr her. Was für ein Nachthemd ist denn das? Es sieht aus, als hinge es bis auf den Boden. Hat Bridget angefangen, ihr ihre eigenen Sachen anzuziehen?
    Sie hat dürre kleine Arme. Die sehen in diesem Licht fast bläulich aus. Sie hat abgenommen, ganz ordentlich abgenommen.
    »Schatz«, ruft er, »ich bin’s. Komm schon. Komm zu Daddy.«
    Sein Stiefel sinkt irgendwo ein, und er kippt nach vorn, kann das Gleichgewicht nicht halten. Landet mit dem Gesicht nach unten, hat den Mund voll Schnee. »Scheiße«, schimpft er wieder. Blickt auf und sieht, dass sie bereits bei dem Schuppen angekommen ist, in dessen Schatten steht und ihn beobachtet, und dass sich zwischen ihm und ihr eine unberührte Schneefläche erstreckt.
    »Yasmin, das ist nicht lustig!«, ruft er. Hier braucht er keine Nachbarn zu fürchten. Es ist keiner da, der sich einmischen könnte. »Ich finde das nicht lustig, hörst du? Komm her, Yasmin! Jetzt komm schon! Ich befehle es dir!«
    Sie dreht sich um, geht
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