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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern
Autoren: Charlotte Link
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verhüllte, schwankende Gestalt.
    Laura.
    »Laura!« rief sie, und ihr Körper, der schwer und matt in Fernands Armen gelegen hatte, straffte sich.
    Laura taumelte. Sie bewegte ihre Lippen, als wolle sie etwas sagen, aber sie brachte keinen Laut hervor. Sie bewegte sich auf den Sessel zu, in dem Fernand gesessen und auf Barbara gewartet hatte — aber es hatte den Anschein, als habe sie kaum mehr die Kraft, ihn zu erreichen. Sie würde jeden Moment zusammenbrechen.
    Fernand ließ Barbara los und fuhr herum. Er machte ein Gesicht, als sehe er ein Gespenst.
    »Laura! Was tun Sie denn hier? Wo kommen Sie her?«
    Wieder bewegte Laura ihre blauverfärbten Lippen, und wieder brachte sie kein Wort hervor.
    Fernand war jetzt hellwach. Mit scharfer Stimme wiederholte er seine Frage: »Ich will wissen, wo Sie plötzlich herkommen!«
    Laura sank in den Sessel. Sie atmete keuchend. Sie bot einen erschreckenden Anblick in ihrem verzweifelten Bemühen, etwas zu sagen.
    Fernand stand jetzt mit dem Rücken zu Barbara. Sie realisierte mit einem Mal wieder das schwere Metall in ihrer Hand. Es fühlte sich nicht mehr kalt an wie am Anfang, sondern hatte die Wärme ihrer Hände angenommen. Die ganze Zeit über hatte sie sich daran festgehalten.
    Sie zögerte nicht, wartete nicht, bis Skrupel sie hätten lähmen können. Der Augenblick war die einzige Chance, die sie hatte. Die einzige Chance, die Ralph hatte.
    Sie hob den Arm und schlug zu. Der schwere Goldrahmen krachte auf Fernands Hinterkopf. Glas splitterte. Es schien, als wolle Fernand sich zu ihr umdrehen, und einen furchtbaren Moment lang dachte sie, ihre Bewegung sei zu schwach gewesen, zu unentschlossen, so wie die von Ralph am ersten Tag, als er das Holz im Schuppen hatte spalten wollen. Aber dann hielt Fernand schon inne, seufzte leise und sackte in sich zusammen.
    Wie in Zeitlupe fiel er zu Boden und blieb dort bewegungslos liegen.
    Barbara stellte den kaputten Rahmen mit der lächelnden Frances Gray darin neben das Telefon.
    »Laura«, sagte sie, »ich kümmere mich sofort um Sie. Und um Ralph. Einen Arzt rufe ich auch gleich. Aber zuerst muß ich Fernand in die Küche schaffen und dort einschließen, das verstehen Sie doch, ja? Dann bin ich sofort bei Ihnen.«
    Laura bewegte abermals die Lippen, und nach zwei vergeblichen Anläufen gelang es ihr endlich, etwas zu sagen.
    »Kann ich bitte eine Tasse Tee haben?« fragte sie.

Mittwoch, 1. Januar 1997
    Die drei Frauen saßen in der Küche von Westhill und frühstückten. Es war noch früh am Morgen, aber der östliche Horizont leuchtete in einem rosigen Schein und versprach einen sonnigen Tag. Über den harschgefrorenen Schneefeldern draußen lagen noch Schatten, aber bald würden sie glitzern und funkeln und das Sonnenlicht in Tausenden von kleinen Kristallen widerspiegeln.
    Laura hatte vorgeschlagen, die arme, verstörte Lilian Leigh zum Jahreswechsel nach Westhill einzuladen, und Barbara hatte zugestimmt, zögernd zunächst, weil sie sich dieser Frau gegenüber unbehaglich fühlte. Dann hatte sie sich jedoch gesagt, daß Lilian es ihr nicht ansehen würde, daß sie mit Fernand geschlafen hatte, und daß außerdem nicht die Zeit war für kleinkariertes Denken. Es war zuviel geschehen. Ihrer aller Leben war aus dem Tritt geraten, und Wichtigkeiten und Nichtigkeiten hatten sich neu verteilt.
    Um Mitternacht hatten sie mit Sekt angestoßen, und dann hatte Lilian geweint, und Laura war in Euphorie geraten, weil Marjorie angerufen und ihr ein gutes neues Jahr gewünscht hatte.
    »Das hat sie noch nie getan! Sie wäre überhaupt nie so lange wach geblieben. Und schon gar nicht hätte sie das Geld ausgegeben, das ein solches Telefongespräch kostet! «
    Laura war zwei Tage lang zur Beobachtung im Krankenhaus gewesen; die Ärzte hatten Unterkühlung, völlige Erschöpfung und schwere Herzrhythmusstörungen diagnostiziert. Sie wollten sie für mindestens eine Woche dabehalten; aber Laura hatte unbedingt zu Silvester nach Hause gewollt und so lange darum gekämpft, bis der zuständige Oberarzt schließlich nachgab.
    »Was sollte ich auch versuchen, mich gegen Sie zu stellen?« fragte er. »Eine siebzigjährige Frau, die einen derartigen Weg bei solchem Schnee zurücklegt, kann ohnehin nichts aufhalten. Ich würde ja doch den kürzeren ziehen!«
    Laura war nach dieser erstaunlichen Äußerung in minutenlange Sprachlosigkeit verfallen.
    Ralph jedoch hatte nicht entlassen werden können. Er würde Wochen im Krankenhaus liegen müssen;
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