Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
Autoren: Kimberley Wilkins
Vom Netzwerk:
durch den Kanaltunnel nach Paris fuhr, war weitestgehend leer, so dass sie die Tasche auf den Sitz neben sich stellen und den Kopf darauf ablegen konnte. Die große Leere konnte kommen. Mark war begraben; sechs Fuß Erde markierten die Grenze zwischen ihrem alten und ihrem neuen Leben. Sie versuchte, nicht an die Dinge zu denken, die sie und Mark nie getan hatten, die er hatte tun wollen, die sie ihm aber verweigert hatte. Dinge, die sie nun, da sie allein war, selbst angehen musste. Nun, da sie so schmerzlich begriffen hatte, wie zerbrechlich das Leben war. Der Zug holperte und schwankte, und Libby atmete tief durch. Ein, aus, achtsam gegenüber ihrem Atem, der nur vorübergehend in ihrem warmen Körper wohnte.

    »Claudette will dich sprechen.«
    Libby blickte auf. Sie nahm gerade ihren Schal ab und hängte die Handtasche an die Stuhllehne. Die Arbeitsnischen bei Pierre-Louis Design waren nichtssagend, während der Empfangsbereich strahlend hell wirkte. Libby arbeitete den ganzen Tag an ihrem Mac mit dem großen Bildschirm, umgeben von grauen Möbeln und beigefarbenen Raumteilern, und entwarf Hochglanzbroschüren für Schmuck und Modehäuser. Das ganze Gebäude war nach und nach renoviert worden, aber irgendwie hatte man es nie bis in ihre Ecke geschafft.
    »Weshalb denn?«
    Ihre Sekretärin Monique schaute sie überrascht an. »Das weiß ich nicht. Aber sie hat gemeint, ich soll dir Bescheid sagen, sobald du hereinkommst.«
    Libby seufzte. In der kleinen Wohnung in Levallois war schon das Aufstehen mühsam gewesen. Ihre Gliedmaßen hatten sich schwer angefühlt. Nach Marks Tod hatte sie sich fünf Tage krankgemeldet, was sie in gewisser Weise ja auch war. Ein Schmerz von den Zehenspitzen bis zur Kopfhaut. Und er würde nie vergehen. Sie würde nie wieder arbeitsfähig sein. »Na schön, ich bin gleich da.«
    Als Libby vor zwanzig Jahren nach Paris gekommen war, hatte sie ein unbeholfenes Schulfranzösisch gesprochen. Jetzt beherrschte sie die Sprache fließend, konnte auf Französisch denken und vermisste dennoch ihr Englisch. Sie vermisste die vielen Nuancen, die die ganzen Synonyme boten, sie vermisste es, Adjektive wie Perlen auf eine Schnur reihen zu können, und es fiel ihr noch immer schwer, sich in Französisch auszudrücken, wenn sie aufgeregt war. Ihre Chefin Claudette hatte den Ruf, ihre Mitarbeiter aufzubringen, also musste Libby auf der Hut sein.
    Claudettes Büro hatte deckenhohe Fenster, durch die sie den ganzen Tag auf die Seine blicken könnte. Doch Claudette hatte ihren Schreibtisch bewusst so plaziert, dass sie mit dem Rücken zum Fenster saß. Es war die einzige Veränderung, die sie bei ihrer Ankunft vor acht Monaten vorgenommen hatte, aber sie sprach Bände. Ihrer Ansicht nach hatte man nämlich keine Zeit, um aus dem Fenster zu schauen, und die entspannte Atmosphäre, die Libby früher so geschätzt hatte, war allmählich verschwunden.
    »Ah, Libby«, sagte Claudette und deutete auf den Stuhl neben ihrem Tisch. »Setz dich. Wir müssen uns ein bisschen unterhalten.«
    Libby setzte sich, obwohl ihr Herz raste, und versuchte, tief durchzuatmen, ohne dass Claudette es bemerkte. Sie schlug die Beine übereinander und wartete, während ihre Chefin sie mit eisblauen Augen musterte. Das Fenster stand offen, und sie konnte den Verkehr auf den beiden Brücken hören, die die Spitze der île Saint-Louis umrahmten.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sagte Claudette schließlich.
    »Vielen Dank«, antwortete Libby verblüfft.
    Pause. Claudette hatte noch immer nicht gelächelt.
    »Ist das alles?«
    »Ich bin etwas misstrauisch«, fuhr Claudette fort. »Du hast dir um deinen vierzigsten Geburtstag herum fünf Tage freigenommen.«
    »Mir ging es nicht gut.«
    »Trotzdem siehst du heute Morgen gut aus.«
    Tatsächlich? »Weil ich fünf Tage freihatte.«
    Claudette kniff die Augen zusammen und lehnte sich zurück, wobei sie einen Bleistift unablässig zwischen den Fingern drehte. »Ich muss dir wohl glauben. Doch ich lasse mich nicht gern zum Narren halten. Fünf Tage Arbeitsausfall kosten mich eine Menge Geld. Die Vorstellung, dass du deine Arbeitgeberin ausnutzt, nur weil du einen runden Geburtstag zu feiern hattest, ist nicht sonderlich erfreulich.«
    Da Claudette für ihre spitzen Bemerkungen berühmt war, ließ Libby sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ich versichere dir, dass ich nicht in der Lage war zu arbeiten.«
    »Und doch hat dich Henri gestern im Gare du Nord gesehen.«
    »Ich bin aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher