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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund
Autoren: Susanne Gerdom
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offenem Mund an. So kleinlaut hatte ich T oby noch nie erlebt. Er gab nicht gerne zu, etwas falsch gemacht zu haben. »Öh«, machte ich verblüfft, »ja. Klar. Danke.«
    »Prima.« Er nickte bekräftigend. »Ich danke dir.«
    Wir saßen noch eine Weile einträchtig schweigend nebeneinander. Mein Kopf pochte dumpf. Der Schmerzaffe war zu einem regelmäßigen Trommelrhythmus übergegangen, der in meinen Augen klopfte, in meinen Ohren wummerte und in meinen Zähnen zog. Ich musste eine Tablette nehmen.
    Toby reckte sich und stand auf. »Holen wir was vom Chinesen? Oder willst du Fish ’n’ Chips?«
    »Chop Suey und Frühlingsrollen.« Ich stand etwas wackelig auf. »Und eine Tablette.«
    Er hielt meinen Arm, während wir ins Haus gingen. Meine Schritte wurden wieder sicherer. »Ihr solltet euch einen Hund kaufen«, sagte ich.
    Toby sah mich fragend an und öffnete die Hintertür. »Einen Hund?«
    »Ja. Für die Zeit, wenn ich – also ...« Es fiel mir immer noch schwer, es einfach auszusprechen. »Jemand muss euch auf Trab halten. Es wäre gut für euch beide. Jonty braucht mehr Bewegung, er wird sonst fett.« Ich versuchte ein Lachen, das ziemlich heiser ausfiel.
    Toby kniff die Lippen zusammen. »Du solltest darüber nicht nachdenken. Du bist hier. Und genauso gut könnte mir oder Jonathan morgen etwas zustoßen.« Er schloss die Tür mit so viel Nachdruck, dass es rumste.
    »Ist Adrian wieder da?«, hörte ich Jonathan von oben rufen.
    »Ja. Ich hole uns was vom Chinesen«, antwortete mein Vater laut. »Was willst du essen?«
    E s entspann sich eine kleine Diskussion über süßsaure, knusprige Ente und gebratenen Reis, der ich nur mit halbem Ohr lauschte.
    »Ein Hund«, sagte der Roshi. »Du hast manchmal lustige Ideen. Warum hast du ihm nicht gleich vorgeschlagen, er solle einen neuen Jungen adoptieren?«
    Ich schnappte nach Luft. »Roshi, das war nicht nett«, flüsterte ich.
    »Nein, das war es nicht.« Er musterte mich streng. »Du solltest nicht den Affen an deiner Stelle denken lassen, Êdorian.«
    Er war fort, ehe ich etwas darauf erwidern konnte. Ich stand allein im hinteren Flur. In der Küche hörte ich Toby und Jonathan miteinander reden, dann wurde es still. Wahrscheinlich hatten sie sich wieder mal nicht einigen können, wer das Essen holen sollte, und waren beide gefahren.
    Ich öffnete die Küchentür, weil ich Teller und Besteck aus dem Schrank holen und Wasser für den Tee aufsetzen wollte.
    Vor der Tür zum Garten standen mein Vater und Jonathan. Jonathan, der einen Kopf größer ist als Toby und ich, hielt meinen Vater im Arm, streichelte seinen Kopf und seine Schultern und bewegte flüsternd die Lippen. Er sah mich und gab mir mit den Augen den Wink, nicht zu stören. Ich nickte, und während ich mich leise rückwärts aus der Tür schob, neigte Jonathan den Kopf, um Toby zu küssen.
    Ich schloss die Tür und lehnte mich einen Augenblick lang dagegen. Den lauten Streit der beiden heute Morgen hatte ich vergessen, bis der Joker mich daran erinnert hatte. Sie hatten sich unten in der Küche angebrüllt, und ich hatte mir die Dau m en in die Ohren gestopft und meinen Kopf unter dem Kissen vergraben, weil ich nicht hatte hören wollen, worum der Streit ging. Ich hatte Angst davor, dass es wieder so sein würde wie mit Maman – dass Jonathan seine Koffer packte und fortging.
    Aber nun war alles wieder gut. Alles war gut.

Novembers Tagebuch
    St. Irais, 25. Mai
    L iebes Tagebuch, sei mir nicht böse, dass ich mich um dich so lange nicht gekümmert habe. Aber wir hatten doch Besuch, und das hat mich ganz und gar in Anspruch genommen.
    Weil Mama leidend war, habe ich mich als älteste Tochter des Hauses um unseren Gast kümmern dürfen und darum, dass alles im Haushalt seinen rechten Gang geht.
    Natürlich ist Mrs Hocking die Haushälterin, und sie braucht mich wahrhaftig nicht dafür, und noch weniger braucht Bernard meine Anleitung. Ich glaube, er würde sich sogar eine Einmischung meines Vaters in seine Befugnisse verbitten. Er kann schrecklich streng sein, aber er ist der beste Butler, den Papa je gekannt hat. Jedenfalls sagt er das. Papa. Nicht Bernard.
    Cousin Jules war so charmant und unterhaltsam wie immer. Und ... jetzt halt dich fest, liebes Tagebuch: Er macht mir den Hof!
    Ich fürchte allerdings, dass Papa damit nicht einverstanden ist. U nd ich weiß ja auch, warum. Ich bin schließlich bereits versprochen. Ich werde an meinem Geburtstag verheiratet werden. Und ich fürchte mich
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