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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund
Autoren: Susanne Gerdom
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davor.
    Denk darüber nicht nach, November. Denk nicht darüber nach!
    Der Verwalter hat das Kutscherhaus wieder vermietet. Es scheinen ordentliche Leute zu sein, die dort wohnen. Ein Junge in meinem Alter ist auch dabei. Er sieht nett aus. Ich sollte einmal hinübergehen und sie begrüßen, im Namen der Familie. Papa hat dafür keine Zeit und ihm steht auch der Sinn nicht danach, und Mama ist zu krank, um das zu tun.
    Papa nimmt es wohl sehr mit, dass sie so elend ist. Er ist schrecklich unleidlich und schließt sich in seinem Arbeitszimmer oder in der Bibliothek ein. Abends wäre es ganz und gar todlangweilig und traurig, wenn Cousin Jules nicht da wäre. Aber er unterhält Sam und mich auf das Allerhübscheste. Ich glaube, ich bin ein bisschen in ihn verliebt.
    Sag das niemandem weiter, hörst du?

5
    ADRIAN
    Am anderen Morgen regnete es sanft und stetig. Ich schob mein Fenster hoch und atmete die kalte, feuchte Luft in tiefen Zügen. Der Garten lag hinter einem zarten Schleier verborgen, der alle Konturen verwischte und die Farben zu Schattierungen von Grau und Braun verblassen ließ, wie auf einer alten Fotografie.
    Es war noch früh und im Cottage regte sich nichts. Toby und Jonathan schliefen sicher noch. Toby hatte gestern Abend zur Versöhnung noch eine Flasche Whisky geöffnet und war ziemlich angeheitert gewesen.
    Ich zog meine Kapuzenjacke an, steckte die Kamera ein und ging in die Küche, um den Wasserkocher anzustellen. Ich gab einen Löffel Instantkaffee und Zucker in meinen Lieblingsbecher (schwarz, mit dem gelben Batman-Zeichen, leider ohne Henkel, der hatte einen Sturz vom Tisch nicht überlebt) und goss das kochende Wasser darüber. Dann grub ich ein ziemlich hartes, trockenes Brötchen aus dem Brotkasten und tunkte es ein. Gegen die Spüle gelehnt, genoss ich mein einsames Frühstück. Es w ar toll, mal vor allen anderen auf den Beinen zu sein. Ich wollte ins Dorf gehen und frische Brötchen und Muffins holen und die beiden Langschläfer damit überraschen. Und wenn ich schon da war, konnte ich gleich auch am Museum vorbeigehen.
    Ich stopfte das aufgeweichte Brötchenstück in den Mund und trank den Kaffee aus. Dann holte ich einen Geldschein aus dem Zuckertopf, steckte ihn in die Jackentasche, nahm den Schlüssel vom Haken und zog die Tür hinter mir zu.
    Der Regen, der von drinnen so sanft und harmlos gewirkt hatte, entpuppte sich schnell als lästige, nasse Plage. Als ich die Tür der Bäckerei aufdrückte, waren meine Hosenbeine bis zu den Knien hinauf aufgeweicht, und ich tropfte wie eine Ratte, die ins Regenfass gefallen war. Meine Turnschuhe quatschten über den gefliesten Boden. Ich kaufte Muffins und weiche Brötchen, ließ mir noch eine Plastiktüte dazu geben, damit ich sie trocken nach Hause bekam, stopfte alles unter meine Jacke und stand dann ausgesprochen missvergnügt wieder auf der Straße, während mir Wasser in den Halsausschnitt und den Rücken hinunter lief. Meine Kapuze war ebenfalls klatschnass. Ich schob sie in den Nacken und entschied, den Regen einfach zu ignorieren. Nasser, als ich jetzt war, konnte ich ohnehin nicht mehr werden.
    »Mistwetter«, sagte eine vergnügte Stimme. Ich drehte mich um und sah Jeannie, heute mit Schockpinkhaaren, Springerstiefeln und zitronengelber Regenjacke. Sie hakte mich unter. »Gehen wir zum Hafen? Da habe ich gestern ein tolles Motiv gefunden. Der Kahn, der gerade repariert wird. Der muss im Regen aussehen wie ein gestrandeter Wal. Vielleicht holst du deinen Aquarellkasten noch mal raus. Nur für mich.« Sie klimperte mit den ebenfalls pinkfarbenen Wimpern.
    » Nicht mein Thema, Jeannie.« Ich gab ihrem Zerren nicht nach. »Augen. Du erinnerst dich?«
    Sie zog einen Flunsch. »Immer nur Augen. Das ist doch langweilig.« Sie ließ mich los und platschte absichtlich so durch eine Pfütze, dass meine Jeans noch nasser wurde. Sie war ein Lar, also eine von den Guten – aber sie konnte einen wirklich nerven, meine Fresse!
    Das Museum sah genauso abweisend und unbelebt aus wie gestern. Ich drückte ohne große Hoffnung die Türklinke herunter und wäre beinahe lang hingeschlagen, als die Tür sich ohne Weiteres öffnen ließ. Ich stolperte in das düstere Innere des Hauses und grüßte in meiner Verwirrung eine Schaufensterpuppe in kornischer Tracht, die im Eingangsbereich stand und einen Korb mit Prospekten und Ansichtskarten in den Händen hielt.
    Jeannie tauchte neben mir auf und schüttelte ihre Jacke aus. »Du bist ein Trampeltier«,
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