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Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Titel: Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
Autoren: Donald Ray Pollock
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am Kreuz hing, und schloss die Augen. Er versuchte sein Bestes, sich Gott vorzustellen, doch seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Schließlich gab er es auf; er fand es leichter, sich seine Eltern vorzustellen, wie sie auf ihn herabsahen. Sein ganzes Leben, so schien es, alles, was er je gesehen, gesagt oder getan hatte, hatte zu diesem Augenblick geführt: Endlich war er allein mit den Geistern seiner Kindheit. Arvin fing an zu beten, das erste Mal seit dem Tod seiner Mutter. »Sag mir, was ich tun soll«, flüsterte er mehrmals. Nach ein paar Minuten fuhr plötzlich ein Windstoß den Hügel hinter ihm herab, und ein paar Knochen, die noch immer in den Bäumen hingen, klapperten gegeneinander wie ein Windglockenspiel.

54.
    Bodecker bog in den Schotterweg ein, der zu dem Haus führte, in dem die Russells gewohnt hatten, und der Streifenwagen wippte sanft in den ausgefahrenen Spuren. Bodecker zog seinen Revolver und legte ihn auf den Sitz. Er rollte langsam über dürre Schösslinge und große Steinwurzeln, dann hielt er knapp fünfzig Meter von der Stelle entfernt, wo das Haus gestanden hatte. Er konnte gerade noch die Spitze des Steinfundaments über das hohe Gras hinweg erkennen. Etwa vierzig Meter entfernt standen die Überreste der Scheune. Vielleicht sollte er das Grundstück kaufen, wenn dieses verdammte Chaos endlich vorbei war, dachte Bodecker. Er konnte ein neues Haus bauen und eine Obstplantage anlegen. Sollte Matthews doch den verdammten Job als Sheriff haben. Florence würde das gefallen. Sie machte sich ständig Sorgen. Bodecker griff unter den Sitz, zog die Flasche hervor und trank einen Schluck. Er musste etwas wegen Tater Brown unternehmen, aber das würde nicht allzu schwer sein.
    Andererseits war dieser junge Russell vielleicht genau das, was Bodecker brauchte, um die Wiederwahl zu gewinnen. Jemand, der einen Gottesmann abknallte, weil er sich über seine jungen Schäfchen hergemacht hatte, musste eine Schraube locker haben, ganz gleich, was der Bulle in West Virginia sagte. Es würde ein Leichtes sein, diesen Penner als kaltblütigen Irren zu verkaufen; die Leute wollten immer einen Helden wählen. Bodecker nahm noch einen Schluck aus der Flasche und schob sie unter den Sitz. »Darüber mach ich mir später Gedanken«, sagte er laut. Jetzt hatte er erst einen Job zu erledigen. Selbst wenn er sich nicht wieder zur Wahl stellen würde, konnte er den Gedanken nicht ertragen, dass alle die Wahrheit über Sandy erfahren würden. Bodecker konnte gar nicht in Worte fassen, was sie auf einigen dieser Bilder getan hatte.
    Nachdem er ausgestiegen war, steckte er die Pistole ins Holster und griff nach der Schrotflinte auf dem Rücksitz. Seinen Hut warf er auf den Vordersitz. Sein Magen rebellierte, er fühlte sich beschissen. Bodecker entsicherte die Flinte und ging langsam die Fahrspur entlang. Er blieb mehrmals stehen, lauschte, ging weiter. Es war still, nur ein paar Vögel sangen. An der Scheune sah er aus dem Schatten zu den Überresten des Hauses hinüber. Er leckte sich die Lippen und hätte gern noch einen Schluck getrunken. Eine Wespe schwirrte ihm um den Kopf, er schlug sie mit der Hand zu Boden und zertrat sie mit dem Stiefelabsatz. Nach ein paar Minuten lief er am Waldrand an der Weide vorbei. Bodecker eilte über vertrocknete Seidenpflanzen, Brennnesseln und Kletten hinweg. Er versuchte sich daran zu erinnern, wie lange er dem Burschen in jener Nacht gefolgt war, bis sie zu dem Pfad und der Stelle kamen, wo der Vater verblutet war. Bodecker sah zur Scheune zurück, konnte sich aber nicht entsinnen. Er hätte Howser mitnehmen sollen, überlegte er. Das Arschloch liebte die Jagd.
    Gerade als er dachte, er müsse den Pfad übersehen haben, stieß er auf niedergetrampeltes Unkraut. Das Herz schlug ihm ein wenig schneller, und er wischte sich den Schweiß aus den Augen. Er beugte sich vor, linste am Gestrüpp vorbei in den Wald und entdeckte ein Stück weiter den alten Tierpfad. Er blickte über die Schulter und bemerkte drei schwarze Krähen, die krächzend über die Weide flogen. Bodecker duckte sich unter Brombeerzweigen hindurch, machte ein paar Schritte und stand auf dem Pfad. Er holte tief Luft und ging mit vorgehaltener Flinte langsam hügelabwärts. Er spürte, wie er innerlich vor Angst und Aufregung vibrierte, genau wie damals, als er für Tater diese beiden Männer umgelegt hatte. Bodecker hoffte, dass es bei dem Jungen hier genauso einfach war.

55.
    Der Wind ließ nach, die Knochen
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