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Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Titel: Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
Autoren: Donald Ray Pollock
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fast verschwunden, genau wie der Verkäufer gesagt hatte. Arvin stellte seine Tasche ab und ging dort hinein, wo die Hintertür gewesen war. Er lief weiter durch die Küche und den Flur entlang zu dem Zimmer, in dem seine Mutter gestorben war. Er trat nach schwarzer Kohle und angesengten Holzstücken, hoffte darauf, irgendetwas von ihr zu finden oder einen der kleinen Schätze, die er im Schlafzimmerfenster aufbewahrt hatte. Abgesehen von einem rostigen Türknauf und seinen Erinnerungen war aber nichts mehr übrig. Auf einer Ecke des Steinfundaments standen ein paar leere Bierflaschen säuberlich aufgereiht, jemand musste sich hier hingesetzt und sie getrunken haben.
    Die Scheune war nur noch eine leere Hülle. Alle Holzverschalungen waren verschwunden. Das Dach war an manchen Stellen durchgerostet, die rote Farbe vom Wetter verblichen und abgeblättert. Arvin trat aus der Sonne hinein; in der Ecke lag der Futtereimer, in dem Willard damals das kostbare Blut transportiert hatte. Arvin trug ihn zu einer Stelle weiter vorn, benutzte ihn als Hocker und aß eine Kleinigkeit. Er beobachtete einen Rotschwanzbussard, der am Himmel träge Kreise drehte. Dann nahm Arvin das Foto von der Frau mit dem Toten aus der Tasche. Warum taten die Menschen so etwas? Und wieso, fragte er sich erneut, hatte diese Kugel ihn verfehlt, wo die Frau doch kaum mehr als zwei Meter entfernt gewesen war? In der Stille konnte er die Stimme seines Vaters hören: »Dahinter verbirgt sich ein Zeichen, Sohn. Pass besser auf.« Er steckte das Bild ein und verbarg den Eimer hinter einem Ballen alten Strohs. Dann überquerte er wieder die Weide.
    Er lief den Wildpfad entlang und kam bald zu der Lichtung, die Willard so mühsam freigeschnitten hatte. Sie war von Farn überwuchert, aber der Baumstamm war noch da. Fünf Kreuze standen dort, der Rost der Nägel hatte sie mit stumpfroten Striemen überzogen. Die anderen vier Kreuze lagen am Boden und waren von orange blühenden Trompetenblumen umrankt. Arvin blieb fast das Herz stehen, als er die Überreste des Hundes noch immer am ersten Kreuz hängen sah, das sein Vater aufgestellt hatte. Er lehnte sich an einen Baum und dachte an die Tage vor dem Tod seiner Mutter zurück, daran, wie sehr Willard versucht hatte, sie am Leben zu halten. Er hätte alles für sie getan, scheiß auf das Blut und den Gestank und die Insekten und die Hitze. Alles, sagte sich Arvin. Und erst jetzt, erst hier, in der Kirche seines Vaters, ging ihm plötzlich auf, dass Willard dorthin hatte gehen müssen, wo auch Charlotte hingegangen war. Damit er sich weiter um sie sorgen konnte. All die Jahre hatte Arvin ihn dafür verachtet, was er getan hatte, dafür, dass es ihm völlig egal gewesen war, was nach seinem Tod aus Arvin werden würde. Dann dachte er an die Rückfahrt vom Friedhof und an Willards Bemerkung darüber, Emma in Coal Creek besuchen zu wollen. Arvin hatte es bisher nicht verstanden, aber das war wohl seine Art gewesen, zu sagen, dass auch er gehen würde und dass es ihm leidtat. »Vielleicht bleiben wir eine Weile dort«, hatte Willard an dem Tag gesagt. »Es wird dir dort gefallen.«
    Arvin wischte sich ein paar Tränen aus den Augen und stellte seine Sporttasche auf den Baumstamm, dann ging er herum und kniete sich vor das Hundekreuz. Er schob ein paar tote Blätter beiseite. Der Schädel war halb im Lehm versunken, das kleine Loch der .22er immer noch erkennbar zwischen den leeren Augenhöhlen. Arvin fand das verschimmelte Halsband, am Leder rings um die rostige Metallschnalle hing noch immer ein kleines Büschel Haare. »Du warst ein guter Hund, Jack«, sagte Arvin. Er sammelte alle Überreste ein, die er auf dem Boden finden konnte – dünne Rippen, Hüftknochen, eine Pfote –, und zog die zerbrechlichen Stücke herunter, die noch am Kreuz hingen. Dann legte er sie vorsichtig auf einen Haufen. Mit dem spitzen Ende eines Astes und den eigenen Händen grub er am Fuß des Kreuzes ein Loch in die feuchte, schwarze Erde. Er grub etwa einen Viertelmeter tief und legte die Knochen behutsam in das Grab. Dann ging er zu seiner Tasche, holte das Bild von der Kreuzigung, das er aus dem Motel mitgenommen hatte, und hängte es an einen der Nägel am Kreuz.
    Arvin kniete auf der anderen Seite des Baumstamms an der Stelle nieder, wo er früher immer neben seinem Vater gebetet hatte. Er zog die Luger aus der Jeans und legte sie auf den Gebetsbaum. Die Luft war vor Hitze und Feuchtigkeit wie tot. Arvin sah zu Jesus hinüber, der
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