Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
hatte die eisernen Türangel getroffen.
    Ich sprang zurück, doch was ich gesehen hatte, gefiel mir ganz und gar nicht.
    Bosquot stand am offenen Fenster auf dem Fensterbrett und wollte offensichtlich hinunterspringen. Und wenn er nun Glück hatte und sich nichts brach? Bis unten waren es an die zwanzig Fuß. Das ist natürlich viel, aber Wunder geschehen immer wieder.
    Mein Entschluss war rasch gefasst. Ich streckte mich erneut vor und schoss auf die schwarze Gestalt, die im grau schimmernden Fenster gut zu erkennen war. Ich wollte auf ein Bein zielen, kam jedoch nicht mehr dazu – Bosquot drückte im selben Augenblick abwie ich. Ich tauchte zurück in meine Deckung. In Gedanken überschlug ich, wie viele Kugeln noch in der Trommel waren. Vermutlich nur eine.
    Shibata saß an der Wand auf dem Sack, vollkommen außer Gefahr, und wartete mit olympischer Ruhe, wie die Schießerei ausgehen würde. Ich erinnere mich, dass mich das ernstlich wütend machte.
    »Vom Boden ist besser«, sagte er friedfertig.
    Ich begriff nicht gleich, was er meinte. Vom Boden? In der Tat. Kein übler Rat.
    Ich legte mich auf den Bauch und schaute erneut ins Zimmer.
    Der Verwalter war verschwunden, nur die Fensterflügel pendelten hin und her.
    Ich sprang auf und rannte ins Zimmer. Es war leer. Er war tatsächlich gesprungen!
    Aus dem Fenster zu schauen war sinnlos. Was konnte man bei der nächtlichen Finsternis schon sehen?
    »Schnell in den Park!«, rief ich. »Vielleicht hat er sich ein Bein gebrochen!«
    Doch Shibata hielt mich zurück.
    »Nicht in den Park.« Seine Stimme war nach wie vor unerschütterlich. »In den Turm.«
    Er hatte recht, wieder hatte er recht! Wenn Bosquot glücklich gelandet war, konnten wir ihn sowieso nicht mehr einholen. War er dagegen verletzt, würde er nicht weit kommen.
    Wie hatte ich vergessen können, dass am anderen Ende des Schlosses ebenfalls geschossen wurde? Womöglich brauchten Holmes und Fandorin Hilfe.
    Wir liefen durch die leeren Räume. Unsere Schritte hallten von den hohen Decken wider.

    XIII

    Auf der Haupttreppe und im Diwanzimmer war keine Menschenseele. Der Japaner zeigte auf die zersplitterte Wandtäfelung – Spuren einer Kugel.
    Aus dem Turm drang kein Laut.
    »Holmes!«, rief ich. »Wo sind Sie?«
    Aus dem Gang tönte eine ärgerliche Stimme: »Kommen Sie herein, Watson, kommen Sie! Ich hoffe, Sie haben Ihre Beute nicht entwischen lassen?«
    Ich zwängte mich durch den Gang. Der Asiat stürmte mir mit Anlauf nach.
    Das Turmzimmer war nur vom Kaminfeuer beleuchtet. Die blutroten Flammen verliehen dem Anblick, der sich mir bot, etwas Diabolisches.
    Auf dem Fußboden lag Eugénie, wie eine bis zum Äußersten gespannte Sehne. Sie regte sich nicht, ihre Augen waren geschlossen. Mit düsterem Gesicht beugte sich Fandorin über sie.
    Holmes stand am offenen Fenster, durch das Kälte hereinwehte, und machte seltsame Handbewegungen.
    »Lebt sie?«, rief ich aus.
    »Sie ist bewusstlos«, antwortete der Russe.
    »Und wo ist Lebrun? Doch nicht etwa hinuntergesprungen? Aber das hier ist der zweite Stock, und unten sind Steinplatten!«
    Holmes winkte mich zu sich.
    »Schauen Sie.« Ich entdeckte eine straff gespannte Leine aus dünnen, aber festen Fäden. »Er ist nicht gesprungen, sondern hinunter geglitten. Der Fluchtweg war vorbereitet.«
    Holmes machte ein mürrisches Gesicht, und mir fiel plötzlich ein, dass ich mir nicht die Mühe gemacht hatte, das Fensterbrett, von dem Bosquot gesprungen war, zu überprüfen. Vielleicht war der Verwalter ja nicht gesprungen, sondern an einem Seil hinuntergeklettert? Aber natürlich! Darum war er schnurstracks in dieses Zimmer gelaufen!
    Ich fasste mich an den Kopf.
    Beide Verbrecher waren also glücklich geflohen, und indessen war es bereits (ich zog meine Uhr aus der Tasche) zwanzig Minuten nach elf! Wenn die Bombe tatsächlich existierte, blieben bis zur Explosion nur noch vierzig Minuten! Bis zum Ablauf des Ultimatums nur noch zehn!
    Fandorin hockte sich hin und massierte dem Mädchen die Schläfen.
    Sie stöhnte, die langen Wimpern bebten. Ihre Augen öffneten sich weit, darin malte sich Entsetzen.
    »Er ist kein Professor!«, stammelten die bleichen Lippen.
    Ich nickte.
    »Das wissen wir.«
    »Es ist Arsène Lupin!«
    »Auch das ist uns bekannt. Beruhigen Sie sich und erzählen Sie, was hier passiert ist. Warum haben Sie geschrien?«
    Wir versammelten uns um die Unglückliche, und sie berichtete schluchzend.
    »Er beugte sich über mich, lächelte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher