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Das Haidedorf

Das Haidedorf

Titel: Das Haidedorf
Autoren: Adalbert Stifter
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und wohlgelitten.
    Nach und nach kamen neue Ansiedler; auch eine Straße wurde von der Grundherrschaft über die Haide gebahnt, so daß nun manchmal des Weges ein vornehmer Wagen kam, deßgleichen man noch nie auf der Haide gesehen. Auch des alten Bauers Söhne bauten sich an, und einer, sagte man sich ins Ohr, werde wohl schön Marthens Bräutigam werden. Und so, ehe sieben Jahre ins Land gegangen, standen schon fünf Häuser mit Ställen und Scheunen, mit Giebeln und Dächern um das kleine, alte, graue Haidehaus, und Felder und Wiesen und Wege und Zäune gingen fast bis auf eine Viertelstunde Weges gegen den Roßberg, der aber noch immer so einsam war, wie sonst; - und am Pankratiustage hatte Vater Niklas die Freude, zum Richter des Haidedorfes gewählt zu werden, - er der Erste seit der Erschaffung der Welt, der solch Amt und Würde auf diesem Flecke bekleidete.
    Wieder waren Jahre um Jahre vergangen, die Obstbaumsetzlinge, zarte Stangen, wie sie der alte Nachbarsbauer gebracht und an Niklas mitgetheilt hatte, standen nun schon als wirthliche Bäume da, und brachten reiche Frucht, und manchen Sonntagstrunk an Obstwein. - Marthe war an Nachbars Benedikt verheirathet, und sie trieben eigene Wirthschaft. - Die Haide war weiß und wieder grün geworden; aber des Vaters Haare
blieben
weiß, und die Mutter fing bereits an, der Großmutter ähnlich zu werden, welche Großmutter allein unverwüstlich und unveränderlich blieb, immer und ewig am Hause sitzend, ein träumerisches Ueberbleibsel, gleichsam, als warte sie auf Felixens Rückkehr. Aber Felix schien, wie einst Jacobus, verschollen zu sein auf der Haide. Seit drei Jahren kam keine Kunde und kein Wandersmann. - In der Hauptstadt, wohin gar Benedikt gegangen, um ihn zu suchen, war er nicht zu finden, und im Amte sagten ihm die Kanzleiherren aus einem großen Buche, er sei außer Landes gegangen, vielleicht gar über das Meer. Der Vater hörte schon auf, von ihm zu reden; Marthe hatte ein Kindlein und dachte nicht an ihn, die Haidedörfler kannten ihn nicht, und liebten ihn auch nicht, als einen, der da einmal davongegangen; die Großmutter fragte nur bisweilen nach Jacobus: - aber das Mutterherz trug ihn unverwischt und schmerzhaft in sich, seit dem Tage, als er von dannen gezogen und an ihrem Busen geweint hatte - und das Mutterherz trug ihn Abends in das Haus, und Morgens auf die Felder - und das Mutterherz war es auch allein, das ihn erkannte, als einmal am Pfingstsamstage durch die Abendröthe ein wildfremder sonnverbrannter Mann gewandert kam, den Stab in der Hand, das Ränzlein auf dem Rücken, und stehen blieb vor dem Haidehause.
    »Felix« - »Mutter!«
    Ein Schrei und ein Sturz an das Herz.
    Das Mutterherz ist der schönste, und unverlierbarste Platz des Sohnes, selbst wenn er schon graue Haare trägt - und jeder hat im ganzen Weltall nur ein
einziges
solches Herz.
    Das alte Weib brach an ihm fast nieder vor Schluchzen, und er, vielleicht seit Jahren keiner Thräne mehr gewohnt, ließ den Bach seiner Augen strömen, und hob sie zu sich auf, und drückte sie, und streichelte ihre grauen Haare, nicht sehend, daß Vater und Schwester, und das halbe Dorf um sie Beide standen.
    »Felix, mein Felix, wo kommst Du denn her?« fragte sie endlich.
    »Von Jerusalem, Mutter, und von der Haide des Jordans. - Gott grüß' Euch, Vater, und Gott grüße Euch, Großmutter! Jetzt bleib' ich lange bei Euch, und geliebt es Gott, auf immer.«
    Er schloß den zitternden Vater an's Herz, und dann die alte Großmutter, die fast schamhaft und demüthig bei Seite stand - und dann noch einmal den Vater, den schönen, alten, braunen Mann mit den schneeweißen Haaren, den er mit noch dichten dunkeln Locken verlassen hatte, und der doppelt liebenswerth da stand durch die unbehülfliche Verlegenheit, in die er dem stattlichen Sohne gegenüber gerieth; - das Mutterherz aber, sich ihres immer unverjährbaren Ranges bewußt, zeigte nichts dem Aehnliches; sie sah nicht seine Gestalt und seine Kleider, sondern ihr Auge hing die ganze Zeit über an seinem Angesichte, und es glänzte und funkelte, und schäumte fast über vor Freude und vor Stolz, daß Felix so schön geworden, und so herrlich.
    Endlich, als sich sein Herz etwas gesättigt, fiel ihm klein Marthe bei; er fragte nach ihr, und sein Auge suchte am Boden umher - allein die Mutter führte ihm ein blühendes Weib vor, mit hellen blauen Augen, ein Kind auf dem Arme, wie eine Madonna, deren er in Welschland auf Bildern gesehen - er
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