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Das größere Wunder: Roman

Das größere Wunder: Roman

Titel: Das größere Wunder: Roman
Autoren: Thomas Glavinic
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haben. Gegen die Kälte würde er ihm allerdings auch nicht helfen. Wie kalt würde es werden? Minus dreißig? Vierzig? Kälter? Mit dem Wind-Chill-Faktor sicher.
    Dort drüben, hörte er. Dort bleibst du, bis es hell wird.
    Du weißt genau, dass ich nie wieder aufwachen werde.
    Ich werde dich wecken.
    Ich falle jetzt ins Koma, du weißt das.
    Ich hole dich zurück.
    Das klingt interessant.
    Hab keine Angst.
    Ich habe keine Angst. Es tut nur so weh, alles.
    Ich weiß. Mach dir keine Sorgen, ich achte darauf, dass du bei mir bleibst. Irgendeinen hellen Punkt wird es in dir auch morgen früh noch geben, und das reicht mir, um dich aufzuwecken. Wenn du untergehst, hole ich dich wieder herauf.

57
     
    Zeit. Vergeht unerbittlich. Auf Bergen. Unter Wasser. Im Leben. Gleichförmig und unerbittlich. Elegant gleichförmig. Famos unerbittlich. Heimtückisch unmerklich. Was du nicht nützt, wendet sich gegen dich.
    Stimmt.
    Ich habe die Bettwäsche, in der sie und ich das letzte Mal nebeneinander geschlafen haben, nicht abgezogen, ich habe alles, wie es war, in den Schrank gestopft. Man öffnet den Schrank und riecht eine untergegangene Welt. Gleich wieder schließen. Der Duft darf nicht entströmen. Vielleicht verstehe ich in zwanzig Jahren.
    Oder schon früher.
    Ich glaube, im oberen Stockwerk der Burg lebt jemand. Er war immer schon da, wir haben es nur nie gemerkt.
    Ich glaube auch.
    Weißt du, dass Lügen hässlich machen? Sie verändern ein Gesicht, es wird verkniffen. Das ist die Strafe für die Lügen.
    Ja, ich weiß.
     
    Der, der abstürzt. Wäre er nicht abgestürzt, wenn er fünf Minuten später losgegangen wäre? Drei Sekunden? Eine? Nimm das eine und nicht das andere Taxi, und du veränderst die Welt.
    Erzähl mehr.
    Erzählen? Du weißt, dass man ein Stück der Geschichten verliert, die man erzählt. Manches behält man ganz für sich.
    Erzähl weiter.
    Weiter? Die Erde dreht sich weiter. Sie befindet sich jede Sekunde an einer anderen Stelle im Universum. Alles ist in Bewegung. Viele Planeten schwirren durchs Nichts. Da und dort sitzt etwas im Nichts. Jemand, den ich nicht begreife, verpflanzt mich vielleicht mal hierhin und mal dahin, und ich bemerke es gar nicht. Wer und was man ist, kann man sich nicht aussuchen. Niemand kann sich ändern. Er kann sich höchstens zähmen. Und Liebe, Liebe ist oft selbst ein Partner, und oft ist sie Betrug, und dieser Betrug betrügt die Liebe. Manchmal liebt man nur die Idee der Liebe, man redet sich ein, dieses Große zu erleben, nicht ahnend, dass man sich selbst belügt und das Große nur simuliert.
    Das ist dir zum Glück noch nie passiert.
     
    Eine Wolke, auf die man sich bettet: Ich könnte springen. Sie würde mich auffangen und davontragen, und dann würde ich merken, dass sie in Wahrheit ein Schwimmbecken ist. Als Gast des Beckens ziehe ich über die Welt, nicht allein, aber dankbar, denn ich habe viel gesehen. Danke allen, die gut zu mir waren. Verzeihe allen, die es nicht waren. Bitte diejenigen um Verzeihung, die ich ungerecht behandelt habe. War ja meine Schuld, denn ich war dumm egoistisch engstirnig entrückt. Doch ich bin geboren worden für die Wolke. Manchmal ist sie das Schwimmbecken. Manchmal bemitleide ich mich selbst, und dann trägt mich ein warmer Wind durch die Lüfte.
    Ja, Jonas.
     
    Und dann ist er auf der Insel, und es ist endlich wieder warm.
    Er hat Tanaka verständigt, die Besatzung zum Schiff zu schicken und das Schiff zur Insel. Und als sie das Schiff besteigen, tut Jonas der Besatzung gegenüber so, als wüsste er nicht, wem es gehört. Und als dann im nächsten Hafen Maries Lieblingsband auf das Schiff kommt und auf See in der Abenddämmerung zu spielen beginnt und er ihr einen Blick zuwirft, weiß er, seine Idee war gut.
     
    Der Wind spricht. Ich habe es noch nie gehört, doch jetzt verstehe ich es. Er spricht, und ich höre ihn.
    Bleib da. Erzähl weiter.
     
    Jetzt sehe ich nur verworren, so wie ein Rätsel in einem Spiegel, doch später, nach meinem Tod, werde ich so klar erkennen, wie Gott mich selbst jetzt erkennt.
    Bleib da.
     
    Solange ich lebe, bin ich ewig.

58
     
    Es war schwierig, den Weg zurück zu finden, doch jemand hatte für ihn eine vertraute Spur ausgelegt, eine Fährte aus Klängen und Bildern und Gerüchen, der er folgen musste, ob er wollte oder nicht. Schritt für Schritt ging er weiter, und als er zuletzt einen Rollbalken hochziehen musste, öffnete er zugleich seine Augen.
    Er zwinkerte in eine graue, zähe,
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