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Das grobmaschige Netz - Roman

Das grobmaschige Netz - Roman

Titel: Das grobmaschige Netz - Roman
Autoren: H kan Nesser
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rechnen, um die Weihnachtszeit wieder einmal Tisch und Bett mit ihr zu teilen.
    Er konnte das nur verhindern, indem er dankend ablehnte, aber natürlich würde er wohl auch diesmal nichts dergleichen tun.
     
    Van Veeteren bog in die Klostergasse ab und fischte einen Zahnstocher aus der Brusttasche. Es regnete in einem fort, und die Windschutzscheibe war beschlagen. Wie immer. Er wischte sie mit dem Jackenärmel ab und hatte für einen Moment klare Sicht.
    Jetzt sterbe ich, dachte er plötzlich, aber nichts passierte. Mechanisch zog er am Belüftungshebel und stellte den Regler ein. Der heiße Luftstrom über seinen Füßen verstärkte sich.
    Ich bräuchte einen besseren Wagen, dachte er.
    Das war kein neuer Gedanke.
     
    Bismarck war auch krank.
    Seit seine Tochter Jess zwölf Jahre alt geworden war, quälte er sich nun schon mit der begriffsstutzigen Neufundländerhündin herum, und nun lag sie nur noch vor dem Kühlschrank und erbrach stinkende gelbgrüne Klumpen, deshalb musste er mehrmals täglich zum Wegwischen nach Hause fahren.
    Jess ging es hoffentlich viel besser. Sie war inzwischen vierundzwanzig oder vielleicht auch dreiundzwanzig; sie wohnte weit weg, in Borges, mit neuen Hunden, einem Zahntechniker und einem Zwillingspaar, das gerade lernte, zu laufen und in einer fremden Sprache zu fluchen. Er hatte sie zu Beginn seines Urlaubs besucht und rechnete nicht damit, sie vor Neujahr noch einmal zu sehen.

    Er hatte auch einen Sohn. Erich.
    Der wesentlich weniger weit weg wohnte. Im Staatsgefängnis von Linden, um genau zu sein, dort saß er eine zweijährige Strafe wegen Rauschgiftschmuggels ab. Sicher verwahrt, also. Wenn Van Veeteren Lust gehabt hätte, hätte er Erich jeden Tag besuchen können ... Er brauchte sich nur ins Auto zu setzen und die zwanzig Kilometer an den Kanälen entlangzufahren, am Tor seinen Ausweis vorzuzeigen und einzutreten. Erich saß fest; er konnte ihm nicht entwischen, und wenn er ihm Zigaretten und ein paar Zeitschriften mitbrächte, würde sein Sohn nicht einmal besonders abweisend sein.
    Aber aus welchem Grund er diesen langhaarigen Verbrecher von Sohn anglotzen sollte, wusste er wirklich nicht. Er kurbelte das Seitenfenster hinunter, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Regentropfen fielen auf seine Oberschenkel.
    Was noch?
    Der rechte Fuß natürlich.
    Den hatte er sich beim gestrigen Badmintonspiel gegen Münster verstaucht. 6-15, 3-15, wegen der Verletzung bei 0-6 im dritten Satz abgebrochen ... Zahlen, die eine deutliche Sprache sprachen. Am Morgen hatte er kaum den Schuh anziehen können, und jeder Schritt tat weh.
    Er wackelte vorsichtig mit den Zehen und fragte sich, ob er den Fuß nicht röntgen lassen sollte, doch ernst nahm er diesen Gedanken im Grunde nicht, das wusste er genau. Er war wie sein Vater, der sich geweigert hatte, mit einer schweren Lungenentzündung ins Krankenhaus zu gehen, weil ihm das weibisch vorgekommen wäre.
    Zwei Tage später war er in seinem Bett gestorben, im stolzen Bewusstsein, die Krankenkasse keinen Pfennig gekostet und niemals auch nur einen Tropfen Medizin geschluckt zu haben. Er war zweiundfünfzig geworden.
    Den achtzehnten Geburtstag seines Sohnes hatte er haarscharf verpasst.

    Und nun zu diesem Lehrer.
    Widerwillig richtete er seine Gedanken auf den Dienst. An sich war es ja kein uninteressanter Fall. Im Gegenteil. Ohne seine anderen Sorgen und diesen verdammten Regen hätte er diesen Fall sogar ein kleines bisschen spannend gefunden.
    Er war sich nämlich nicht sicher.
    In neun von zehn Fällen war er das. Ja, sogar noch häufiger, wenn er ehrlich sein wollte. Van Veeteren wusste in mindestens neunzehn von zwanzig Fällen, ob der Betreffende der Täter war oder nicht.
    Warum sollte er auch sein Licht unter den Scheffel stellen? Immer gab es eine endlose Menge von winzig kleinen Zeichen, die in die eine oder andere Richtung wiesen ... und mit den Jahren hatte er gelernt, diese Zeichen zu deuten. Natürlich erkannte er nicht jedes einzelne, aber das war ja auch egal. Wichtig war, dass er das Bild sah. Das Muster erkannte.
    Das war eigentlich alles kein Problem, und er brauchte sich auch nicht weiter anzustrengen.
    Später dann Beweise zu finden, eine Argumentation aufzubauen, die vor Gericht standhalten konnte, das war schon etwas anderes. Aber die Gewissheit und die Erkenntnis, die überkamen ihn einfach.
    Ob er das wollte oder nicht. Er deutete diese Signale, die die Verdächtigen aussandten; deutete sie manchmal so leicht
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