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Das Graveyard Buch

Titel: Das Graveyard Buch
Autoren: Neil Gaiman
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plötzlich wieder auftauchen. In di e ser Nacht hatte ihn ein Geräusch aus dem Zimmer unter ihm geweckt, etwas war krachend zu Boden gefa l len. Einmal wach, langweilte er sich schon bald und überlegte, wie er aus seinem Bettchen hinau s kommen könnte. Es war vergittert so wie der Lau f stall unten in der Wohnung, aber er war sicher, dass er trotzdem hinau s klettern kon n te. Er brauchte nur eine Stufe … Er setzte seinen großen honigfarbenen Plüschbären in eine Ecke des Bettchens, umklamme r te die Gitterstäbe mit seinen kleinen Händen, setzte einen Fuß auf den Bauch des B ä ren, den anderen auf den Kopf, zog sich hoch, bis er stand, und kugelte mehr, als er kletterte, über das Seite n gitter aus dem Bet t chen.
    Mit einem dumpfen Laut landete er in dem Haufen aus Spielzeug und Plüschtieren: Ein paar hatte er zu seinem ersten Geburtstag (vor noch nicht einmal e i nem halben Jahr) bekommen, ein paar hatte er von seiner älteren Schwester geerbt. Er war überrascht, als er auf dem B o den aufschlug, aber er weinte nicht. Wenn man weinte, kamen die Erwachsenen und steckten einen wieder ins Bett.
    Er krabbelte aus dem Zimmer.
    Der Weg die Treppe hinauf war schwierig und gefäh r lich, das beherrschte er noch nicht so gut. Aber hinunter ging es ziemlich leicht, wie er herausgefu n den hatte. Er rutschte auf seinem gut gepolsterten Hosenboden von Stufe zu Stufe hinunter.
    Er nuckelte an seinem Lulli, sein Schnuller, von dem seine Mutter seit Neuestem behauptete, dass er eigentlich zu groß sei dafür.
    Bei seiner Reise treppab auf dem Popo hatte sich die Windel gelöst, und als er auf der letzten Stufe angeko m men war und sich in der kleinen Diele aufric h tete, fiel sie herunter. Er trat aus der Windel heraus. Er hatte nichts als sein Nachthemdchen an. Die Tre p pe hinauf zu seinem Zimmer und zu seiner Familie war steil und abschr e ckend, aber die Tür hinaus auf die Straße stand einladend offen.
    Zögernd setzte der kleine Junge den Fuß nach dra u ßen. Der Nebel hüllte ihn ein wie ein lang ve r misster Freund. Anfangs noch unsicher, dann immer schneller und zuve r sichtlicher stapfte er den Hügel hinauf.
     
    Weiter oben lichtete sich der Nebel. Das Licht des Hal b monds war nicht so hell wie das Tageslicht, beileibe nicht, aber man konnte den Friedhof doch gut erkennen.
    Da.
    Da stand die verlassene Friedhofskapelle mit den ve r riegelten Türen und dem mit Efeu bewachsenen Turm. Aus der Dachrinne, auf Höhe des Daches, wuchs ein kleiner Baum.
    Ringsum Grabsteine, Grüfte und Gedenktafeln. Und hin und wieder lugte ein Kaninchen, eine Wüh l maus oder ein Wiesel aus dem Gebüsch und huschte über den Weg.
    All das hätte ein nächtlicher Beobachter im Mon d licht erkennen können.
    Freilich hätte er nicht die blasse, rundliche Frau ges e hen, die unweit der Eingangspforte vorbeiging, und wenn er doch genauer hingeschaut hätte, dann hätte er erkannt, dass sie nur aus Mondschein, Nebel und Schatten b e stand. Und doch gab es diese blasse rundliche Frau und sie war auf dem Weg zu einer Ansammlung halb zerfa l lener Grabsteine nahe der Eingangspforte.
    Die Pforte war verschlossen, im Winter ab vier Uhr nachmittags, im Sommer ab acht Uhr abends. Der Frie d hof war auf einer Seite durch ein mit Spitzen bewehrtes Eisengitter geschützt und an den anderen Seiten von e i ner hohen Ziegelmauer umschlossen. Die Stäbe des E i sengitters waren so eng, dass kein E r wachsener, ja nicht einmal ein zehnjähriges Kind sich hätte durchzwängen können.
    »Owens!«, rief die blasse Frau mit einer Stimme wie das Säuseln des Windes im hohen Gras. »Owens! Schau doch mal!«
    Sie bückte sich und betrachtete etwas auf dem B o den. Kurz darauf tauchte eine schattenhafte Gestalt im Mon d schein auf, die sich als ein grauhaariger Mann in den Vierzigern herausstellte. Er schaute in dieselbe Richtung wie seine Frau, und als er sah, was sie gerade betrachtete, kratzte er sich am Kopf.
    »Gnädige Frau«, begann er, denn er stammte aus einer Zeit, als Höflichkeit noch etwas galt, »ist das wirklich das, wofür ich es halte?«
    Im selben Augenblick musste das Wesen, das er ger a de kritisch beäugte, wohl Mrs Owens erblickt h a ben, denn es öffnete den Mund, ließ den Schnuller herausfa l len und streckte ein kleines Patschhändchen aus, als wollte es unbedingt Mrs Owens blassen Fi n ger packen.
    »Ich fress einen Besen, wenn das kein Baby ist«, en t fuhr es Mr Owens.
    »Natürlich ist das ein Baby«, sagte seine Frau.
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